Aus einem Jahr der Nichtereignisse (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Aus dem Leben in Norddeutschland

„Film zu Ende!“, ruft Ann Carolin Renninger als das Bild abreißt. Ihr und René Frölkes Film Aus einem Jahr der Nichtereignisse ist auf echtem 16mm-Material und Super8 entstanden. Nicht nur optisch versetzt er uns damit in die Zeit grobkörniger Amateurfilme aus den späten 1960er und 1970er Jahren zurück.

Eine herkömmliche Super8-Kassette hatte eine Laufzeit von guten drei Minuten und zwanzig Sekunden. Es passiert dementsprechend oft, das Aus einem Jahr der Nichtereignisse das Bild abhandenkommt. „Du verbrauchst so viele Filme und aufgenommen haste noch nichts,“ ruft der Protagonist in die zerkratzte Schwärze hinein.

Der Protagonist ist fast 90 Jahre alt, ein ehemaliger Bauer, der noch immer auf seinem Hof in Norddeutschland lebt. Vor Jahren kam einmal ein Filmteam vorbei, das sein Anwesen für eine passend aus der Zeit gefallene Location für eine TV-Produktion hielt. Seitdem ist wieder Ruhe eingekehrt, die Tage erschöpfen sich im Füttern der Hühner, Reden mit den Katzen, Kochen, Nachrichten. Das zweite Filmteam auf dem Hof interessiert sich genau dafür. „Warte mal, wir müssen das filmen“, ruft es hinter der Kamera hervor, als sich der Mann morgens in Windeseile anzieht. „Wieso? Anziehen muss schnell gehen. Früher stand ich in fünf Minuten an der Melkmaschine.“ Man kann sich das gut vorstellen, auch wenn der Mann mittlerweile nur noch über einen Rollator gebeugt gehen kann, das Knie macht ihm zu schaffen. Eine massige Gestalt in Latzhose, Zähne sind nicht mehr da. Dazu das norddeutsche Nuscheln, hin und wieder sind die englischen Untertitel eine echte Hilfe. Aber der Mann strahlt noch immer eine würdevolle Körperlichkeit aus, wenn er sich über sein Anwesen bewegt, ein bisschen wie ein alter Gorilla.

Für Aus einem Jahr der Nichtereignisse haben Ann Carolin Renninger und René Frölke ein Langzeitprojekt aus ihren Besuchen auf dem Hof gemacht. In den ersten Minuten des Films liegt Schnee, es fällt dem Mann schwer, den Rollator über die eisverkrusteten Sandwege zu hieven. Im Frühjahr wird sein Geburtstag gefeiert, Freunde kommen zusammen, Rollstühle, Hörgeräte. Bei Marzipantorte redet man über gestiegene Preise, über Pläne für die eigene Beerdigung. Die Lakonik der Unterhaltung findet ihre Entsprechung immer wieder in den ganz und gar unsentimentalen Bildern. Die Katzen drehen ungerührt ihre Runden und irgendwo unter einem Plastikstuhl sitzt immer eine Ente, sich vor dem Regen versteckend. Nur selten wird von früher geredet. Einmal erzählt der Mann von den Fliegern im Zweiten Weltkrieg, vom ständigen in Deckung Gehen, ein altes Foto zeigt ihn im Kreis pubertärer Jungen mit Hakenkreuzarmbinden.

In erster Linie ist die Vergangenheit im Film durch ihre Abwesenheit präsent, der Hof als Überbleibsel einer längst vergangenen Ära. Langsam holt sich die Natur das Gebäude zurück, im Sommer wuchern die Gräser, im Herbst ist durch das Dickicht kaum ein Vordringen zu den Obstbäumen möglich. Sogar einen Wecker haben die Regisseure gefunden, dessen Stundenzeiger stehen geblieben ist. Im letzten Drittel des Films lasten die Nichtereignisse schwer, das melancholisches Kreisen der immer gleichen Motive entwickelt einen meditativen Sog. Dem rücksichtslosen Voranschreiten der Zeit, ihren hinterlassenen Spuren haftet aber auch etwas Tröstliches an. Halten Nachwuchsfilmemacher die Kamera auf die Alten, ist meist familiärer Ballast die Intention — man leistet Traumabewältigung oder Trauerarbeit, erliegt in Torschlusspanik einem zu spät erkannten Konservierungszwang. Aus einem Jahr der Nichtereignisse ist in dieser Hinsicht bemerkenswert offen und frei. Er dokumentiert, ohne daraus bemühte Schlussfolgerungen abzuleiten, zu bekehren oder erziehen. Wenn dieser kleine verwitterte Hof in Glücksburg sich heute so standhaft hält — wer will dann sagen, dass er nicht morgen auch noch so stehen wird?
 

Aus einem Jahr der Nichtereignisse (2017)

„Film zu Ende!“, ruft Ann Carolin Renninger als das Bild abreißt. Ihr und René Frölkes Film „Aus einem Jahr der Nichtereignisse“ ist auf echtem 16mm-Material und Super8 entstanden. Nicht nur optisch versetzt er uns damit in die Zeit grobkörniger Amateurfilme aus den späten 1960er und 1970er Jahren zurück.

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Meinungen

LIsa Budde · 06.11.2018

Hallo,

wir der Film auch als DVD zu erwerben sein? Mein Vater kennt den "Schauspieler" persönlich und würde die Doku gerne sehen, wir haben alerdings nicht die Möglichkeit den Film in Berlin im Kino zu sehen.
Über eine Antwort würde ich mich freuen.

Reinhard Karsten · 26.03.2017

Auf der Berlinale hatte ich leider nicht die Gelegenheit den Film zu sehen. Bei allem was ich bisher zum Film gelesen habe, aber auch schon allein vom Trailer, hoffe allerdings sehr, den Film doch noch irgendwann in Berlin in den Kinos sehen zu können. Es sollte genug Kinos in Berlin geben, für die er genau das richtige Format wäre: Das Krokodil, die Tilsiter Lichtspiele oder Kino Zukunft, die ja zusammen gehören. Aber auch im Filmtheater Friedrichshain, oder anderen Yorck-Kinos würde ich mir wünschen ihn zu sehen.
Könnt Ihr mir Hoffnung machen?
Liebe Grüße
Reinhard Karsten

Wolf Kino · 13.06.2018

Lieber Reinhard,
wir bringen den Film ab morgen in die Kinos! Du kannst ihn dann im Wolf, in den Tilsiter Lichtspielen, im ACUD und im City Kino Wedding sehen, und später dann auch im Kino Krokodil