Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Irrsinn und Konvention

Sechs Jahre nach seinem Kinderbuch-Erfolg Alice im Wunderland lässt Lewis Carroll 1871 die zweite Erzählung Alice hinter den Spiegeln folgen. Ebenfalls sechs Jahre nach Tim Burtons Verfilmung Alice im Wunderland (2010) erscheint nun mit Hinter den Spiegeln James Bobins Versuch, die bunte, wahnwitzige Welt des ersten Films erneut zu besuchen. Schafft dieser Film es dabei besser als sein Vorgänger, den einfallsreichen Irrsinn der großen Vorlage umzusetzen?
Es ist immer wieder die Frage nach der Werktreue einer Literaturverfilmung, die Anlass für hitzige und emotional geführte Debatten gibt. Noch immer hat sich die Erkenntnis offenbar nicht so recht durchgesetzt, dass Treue in den seltensten Fällen ein brauchbarer Wertungsfaktor für Adaptionen ist, die sich ein Werk aneignen und dieses mit eigenen Mitteln in ein anderes Medium übertragen. Überraschend scheint hingegen immer wieder, dass die Bilder der eigenen Imagination beim Lesen von anderen Menschen anders gedacht und damit auch anders auf die Leinwand gebracht werden. Daher vorweg: Alice im Wunderland – Hinter den Spiegeln ist schlichtweg keine Literaturverfilmung.

Der Titel verrät, worum es sich viel eher handelt: Eine Adaption sowohl der Ideen des ersten Films als auch einzelner Elemente der Erzählung von Lewis Carroll. Mit der (unter-)titelgebenden Romanvorlage hat der Film im Grunde nur die Pforte gemein: Alice (Mia Wasikowska) gelangt erneut in die Welt, die ihr bereits aus den Abenteuern des ersten Films bekannt ist – nur dieses Mal, indem sie durch einen Spiegel tritt. Erneut trifft sie daraufhin auf ihre alten Bekannten, allen voran auf den Verrückten Hutmacher (Johnny Depp), der in tiefer Trauer um seine vor vielen Jahren verstorbene Familie zu vergehen droht. Der einzige Ausweg: Alice muss in der Zeit zurückreisen, um die Familie des Hutmachers zu retten. Doch neben der Roten Königin (Helena Bonham Carter) ist ihr auch die Zeit persönlich (Sacha Baron Cohen) auf den Fersen.

Der besondere Reiz von Carrolls Romanen ist die irrsinnige Welt voll verrückter Figuren, voll explodierender Fantasie, die so schon immer auch Adaptionen angeregt hat. Und nicht zufällig hat, bei allen Schwächen des ersten Films, auch Johnny Depps Verkörperung des Hutmachers einen gewissen Kultstatus erreicht. Doch: Es bleibt ein grundlegendes Problem in der Art, wie Disney sich die Welt von Lewis Carroll zu eigen macht, ein grundlegendes Problem in der Unvereinbarkeit von sprühender Fantasie und konventioneller Narration.

So sehr Hinter den Spiegeln visuell also beeindrucken mag, so kreativ und detailverliebt erneut die Ausgestaltung der Welt und besonders das Kostümdesign ausfallen – so sehr bleibt das Gefühl, dass in diesem Film etwas nicht zusammenpasst. Die Erzählung eines Mädchens (für dessen Rolle, nebenbei bemerkt, Mia Wasikowska schon im ersten Film nicht im passenden Alter war), das sich gegen alle Konventionen, gegen alle Starre des viktorianischen Englands aufbäumt und sich eine eigene Welt erschafft – diese Erzählung steht im scharfen Widerspruch zur narrativen, konventionellen Starre des Blockbuster-Kinos. Denn es handelt sich dabei nicht um eine lineare Erzählung, die mit Spannungsbögen und klassischer Dramaturgie vereinbar ist.

Alice spielt, sie befindet sich in einer Welt außerhalb der geregelten Zeitordnung – schon ohne, dass der Film dies konkret thematisieren müsste. Gerade der Raum des Wunderlands (oder Unterlands, wie es in den Verfilmungen heißt) ermöglicht dieses Spiel, ermöglicht auch eine Befreiung der Erzählung genau davon: Erzählung sein zu müssen. Diese Welt, dieser Wahn, dieses Heraustreten aus dem Aufwachsen lässt sich ganz einfach nicht in eine solche lineare Form gießen, ohne dass sein Kern, sein Herz, verloren geht.

Alice im Wunderland – Hinter den Spiegeln ist kein schlechter Film. Es wird erfüllt, was der Blockbuster-Zuschauer, was vielleicht die Familie bei einem gemeinsamen Kinobesuch von ihm erwarten würde. Aber es ist ein Film, der sein eigenes Anliegen verbiegt, der sein Herz daran verliert, unbedingt narrativ sein zu wollen. Alice kann nicht narrativ sein, Alice muss die Freiheit haben, ganz und gar Fantasie sein zu dürfen – und die Fantasie dieser Figur und ihrer Welt einzuschränken, ist eine schmerzliche Schande. Warum nicht mal ein Alice-Film, der den mutigen Schritt wagt, sich aus dem Zwang der Konventionen zu befreien und ganz Irrsinn zu sein?

Alice im Wunderland: Hinter den Spiegeln

Sechs Jahre nach seinem Kinderbuch-Erfolg „Alice im Wunderland“ lässt Lewis Carroll 1871 die zweite Erzählung „Alice hinter den Spiegeln“ folgen. Ebenfalls sechs Jahre nach Tim Burtons Verfilmung „Alice im Wunderland“ (2010) erscheint nun mit „Hinter den Spiegeln“ James Bobins Versuch, die bunte, wahnwitzige Welt des ersten Films erneut zu besuchen. Schafft dieser Film es dabei besser als sein Vorgänger, den einfallsreichen Irrsinn der großen Vorlage umzusetzen?
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Meinungen

seli · 17.06.2016

Ich habe diesen Film,zwar noch nie gesehen aber er sieht gut aus.