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Ein Mann versucht trotz der allgegenwärtigen Korruption ein anständiges Leben zu führen. Doch die Umstände und die schiere Not lassen ihm irgendwann keine andere Wahl, als sich den Gegebenheiten zu beugen. Oder geht es doch anders? 

A Man of Integrity - Kampf um die Würde (2017)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Ein moralisches Dilemma

Es ist eine Hiobsgeschichte, die Mohammad Rasoulof in A Man of Integrity erzählt. Reza (Reza Akhlaghirad) arbeitet hart. Er züchtet Fische, hat ein Haus für seine Familie gebaut und versucht, den Kredit dafür irgendwie abzuzahlen. Aus Teheran ist er extra hierhergekommen, um sich ein glückliches Leben aufzubauen. Natürlich könnte er es in der kleinen Stadt auf dem iranischen Land einfacher haben, das wird gleich zu Beginn klar. Ein Bankbeamter bietet ihm eine Verlängerung seines Kredits an. „200.000 am besten noch heute. Das Geld ist ja nicht für meine Provision, da bekommt mein Chef noch etwas und der Filialeiter nimmt auch seinen Teil.“ Aber Reza will das nicht. Er versucht, ohne Korruption durchzukommen, nicht nach den hier üblichen Regeln zu spielen, sondern auf die der inneren Moral zu vertrauen. Also verkauft er seinen Wagen und zahlt damit lieber direkt die hohe anstehende Kreditrate ab, ohne jemanden mit dem Geld zu schmieren.

An dieser Haltung wird er festhalten. Er glaubt daran, dass der letzte Widerstand gegen ein korruptes System, gegen Behördenwillkür und bestechliche Richter im Kleinen stattfindet, im Alltag und selbst im Privaten. Doch wie Hiob wird auch Reza nach und nach alles genommen, was er besitzt und für das er kämpft. Ein großes Unternehmen will sein Land haben. Eines Tages versiegt das Wasser, das seine Teiche speist. Das Unternehmen hat die Schleuse geschlossen. Dann werden seine Fische vergiftet und damit stirbt die letzte Gelegenheit, durch ihren Verkauf seine nächste Kreditrate zu tilgen. Und so geht es weiter, immer tiefer hinab in den Strudel von Ungerechtigkeiten und Willkür. Reza landet im Gefängnis, seine Frau Hadis (Soudabeh Beizaee) versucht ihn herauszuholen, doch da auch sie zunächst niemanden bestechen will, bleibt er länger und länger in Haft. Als er endlich herauskommt, muss er eine Entscheidung treffen: sich dem System anpassen und nach den korrupten Regeln spielen oder seinen Widerstand aufrechterhalten und fortgehen.

Reza Akhlaghirad spielt seinen tragischen Helden mit versteinertem Gesicht, die Anspannung zeichnet eine steile Falte zwischen seine Augen, die voller Unruhe hin und her wandern, als suchten sie ständig nach einem Ausweg. Nur manchmal weiten sie sich vor Schreck oder verengen sich vor Wut. Lächeln wird er nicht ein einziges Mal. Zu groß ist die Existenzkrise, in die er gerät und der er ohnmächtig zusehen muss. Je weiter es abwärts geht, desto mehr stellt sich beim Zuschauen dieses beklemmende Gefühl ein, das sonst der Lektüre von Kafkas Kurzgeschichten vorbehalten ist. Der Ton trägt dazu seinen Teil bei. Ein dumpfes Dröhnen liegt subtil unter allem und schwillt mit jedem Schicksalsschlag an. Symbol für Rezas innere Spannung und Vorwegnahme der Lösung, die Reza für seine Probleme finden wird.

Rasoulof lotet mit seiner Geschichte ein moralisches Dilemma aus, das so alt ist wie die Menschheit: Folgt man seiner inneren Moral, auch wenn alle anderen es nicht tun? Leistet man Widerstand, auch wenn man der letzte ist, der es tut? Und wie weit geht dieser Widerstand, was lässt man für seine Überzeugung auf der Strecke? Sein Haus, seine Familie, sein Leben? Gerade bei einem Regisseur wie dem Iraner Rasoulof liest man den Film natürlich noch auf einer anderen Ebene. Rasoulof war 2009 zusammen mit Jafar Panahi während gemeinsamer Dreharbeiten zu einem Film über die iranischen Präsidentschaftswahlen verhaftet worden. Beide wurden angeklagt und zu sechs Jahren Haftstrafe verurteilt. Die musste er nicht absitzen, dafür wurde er wie auch Panahi unter Hausarrest gestellt. Im Mai 2011 durfte er dann überraschend zu den Filmfestspielen in Cannes reisen, wo sein Film Auf Wiedersehen zu sehen war. Ein Film über eine junge Iranerin, die auf ein Ausreisevisum wartet. Auch in diesem Jahr war Rasoulof zur Premiere von A Man of Integrity im Mai 2017 in Cannes anwesend. Und auch dieser Film darf wohl als deutliche Kritik an den politischen Zuständen in Iran gelesen wird. Die Seitenhiebe auf mangelnde Religions- und Meinungsfreiheit sind vielfältig, fügen sich jedoch subtil in diese Moralgeschichte, die am Ende eine ähnliche Wucht entwickelt wie zuletzt sein Landsmann Asghar Farhadi in The Salesman. Man hofft, dass alles gut werden kann – wider besseren Wissens, dass das unter diesen Umständen kaum möglich ist.

A Man of Integrity - Kampf um die Würde (2017)

Reza hat sich aus dem moralischen Sumpf der Stadt zurückgezogen und führt mit seiner Frau und seinem Kind ein beschauliches Leben als Fischzüchter in einem Dorf im Norden Irans. Doch auch auf dem Land herrschen Korruption und Gewalt. Ein Großfabrikant, der beste Beziehungen zur Regierung unterhält, zwingt die lokalen Bauern und kleinen Unternehmer mit allen Mitteln in ein Netz der Abhängigkeit. Reza ist fest entschlossen, sich dem Filz fernzuhalten – doch eines Tages sind seine Fische tot …

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