90 Minuten - Bei Abpfiff Frieden

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Entscheidend ist auf’m Platz

Sollen die da oben sich doch die Köppe einschlagen, die hinter dem ganzen Kriegsschlamassel stecken! Derartige Stammtischsprüche nimmt Eyal Halfon in seiner irrwitzigen Satire 90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden ganz ernst. Ein Fußballmatch zwischen Israelis und Palästinensern soll entscheiden, wer bleiben darf und wer gehen muss: Eine einfache Lösung für einen jahrzehntelangen Konflikt, an dem sich alle Politiker der jüngeren Weltgeschichte die Zähne ausgebissen haben, in dem zigtausende Menschen, Soldaten wie Zivilisten, gestorben sind. Der Clou: Halfon macht daraus alles andere als einen vereinfachenden Film: In Form eines Dokumentarfilms spielt er alle Aspekte seiner Prämisse durch, ganz konsequent – und mit knallharter Komik.
Das Kamerateam hat uneingeschränkten Zugang zu allen – das ist die Grundvoraussetzung des Films. Mit den „Dokumentarfilmern“ schleichen wir uns hinter die Kulissen, in die Verhandlungsräume, in Privathäuser und Umkleidekabinen, um Zeuge der Vorbereitungen für das wichtigste Fußballspiel seit Menschengedenken zu werden: Schüsse mit dem Ball statt mit Gewehren, ein Stellvertreterkrieg auf dem Fußballplatz. Es geht um alles; jeder Seite ist klar: sie muss gewinnen. Und der Sport, der im wirklichen Leben so sehr auf seine Sonderstellung abseits von jeder Politik beharrt, wird unversehens zum entscheidenden Faktor für den Frieden in einer höchst kriegerischen Weltregion.

In Portugal soll das Spiel der Spiele stattfinden, der Stadionmanager ist freudig nervös: Das wird größer als die EM 2004! Wir folgen dem Direktor des israelischen Fußballverbands ebenso wie seinem palästinensischen Kollegen, betrachten einen britischen Nahostkorrespondenten, der die Nachrichtenlage sondiert, sind bei Talkshows und Radiointerviews dabei, beobachten die Spieler. Und während die Form eines scheinbar dokumentarischen Blicks sowohl Realismus als auch Lockerheit der Dramaturgie suggeriert, können wir nicht umhin, das sehr genaue, sehr kluge Drehbuch zu bewundern, das aus der „Was wäre wenn“-Ausgangslage das Möglichste herausholt.

Plötzlich in den Blickpunkt der Weltpolitik geworfen, finden sich die Sportfunktionäre in einer ungewohnten Rolle wieder. Auf ihnen und auf den Spieler drückt eine ungeheure Last der Verantwortung für ein ganzes Volk. Und das, obwohl Israel in den letzten Jahrzehnten nie auch nur annäherungsweise an die Teilnahme an einem internationalen Turnier herangekommen ist. Und Palästina muss erstmal Spieler für ein Nationalteam rekrutieren. Zwischen Westjordanland und Gazastreifen müssen die Spieler im Bus zum Training gekarrt werden, von schikanösen israelischen Soldaten immer wieder genüsslich bei diversen Straßensperren gefilzt; während auf israelischer Seite ein gesellschaftlicher Streit ausbricht, weil ein Spieler palästinensischer Jude (bzw. jüdischer Araber) ist. Und weil, alles verkomplizierend, als Trainer der deutsche Herr Müller fungiert – den Detlev Buck in großartiger Deadpan-Manier gibt, einer, der nur auf dem Platz funktioniert und ansonsten dumm rumsteht.

Die Auswahl des Schiedsrichters ist ein ganz eigenes Problem. Lange Verhandlungen in der Schweiz, bei der „IFA“ (aus rechtlichen Gründen musste ein F gestrichen werden): Die Schweden gehen gar nicht, die sind schon immer gegen Israel. Der belgische Kandidat – Einspruch, seine Tochter hat vor zehn Jahren Freiwilligendienst im Kibbuz geleistet. Geniale Lösung: Der Cousin des Stadionwärters ist ein tumber Hallodri, gegen den keiner was haben kann. Auf beiden Seiten wird kräftig aufgerüstet. Die Spieler werden zu den Stätten des nationalen Triumphes ihrer jeweiligen Völker geführt, militärische Heldengeschichten und Holocaustmuseum sollen den Kampfgeist wecken. Und die Spielermütter demonstrieren gegen das Spiel, ihre Jungs wollen fußballern, nicht Weltgeschichte schreiben.

Mit großer Präzision und höchster Lässigkeit kommt Halfon immer wieder zu großartigen Pointen, mit wenigen Strichen zeichnet er klare Charakteristiken seiner Protagonisten, in 80 Minuten skizziert er einen Übersichtsplan über alle Konfliktlinien des Nahen Osten: 90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden ist mehr wert als jede Reportage, als jede Talkshow, als jede Politsendung. Fußball versteht jeder: auf diese Ebene eine der kompliziertesten politischen und militärischen Auseinandersetzungen herunter zu brechen, ist schlicht genial. Denn es ist ganz klar: Ein Spiel dauert 90 Minuten. Und nach dem Spiel ist nichts mehr wie vor dem Spiel.

90 Minuten - Bei Abpfiff Frieden

Sollen die da oben sich doch die Köppe einschlagen, die hinter dem ganzen Kriegsschlamassel stecken! Derartige Stammtischsprüche nimmt Eyal Halfon in seiner irrwitzigen Satire 90 Minuten – Bei Abpfiff Frieden ganz ernst. Ein Fußballmatch zwischen Israelis und Palästinensern soll entscheiden, wer bleiben darf und wer gehen muss:
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