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Neues vom Meister des gehobenen Blödsinns: Quentin Dupieux, dessen kommender Film mal eben das Festival in Cannes eröffnet, zeigt in „Yannick“ eine Theatertruppe im Kampf mit ihrem Publikum und bekommt vom titelgebenden Antihelden die Grenzen zwischen Kunst und Realität aufgezeigt.

Yannick (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mr. Oizo ist jetzt Mainstream

Betrachtet man die Karriere vom Quentin Dupieux – also zumindest deren filmischen Teil, schließlich ist der Mann unter dem Namen Mr. Oizo auch ein erfolgreicher Musiker -, kommt man nicht umhin, sich tüchtig über den Werdegang eines unangepassten und schillernden Filmemachers zu freuen, der seinem Publikum einiges abverlangt. Denn wer sonst traut sich, in beneidenswerter Schlagzahl ein schräges Ding nach dem anderen rauszuhauen, in dem es unter anderem um einen mordenden Autoreifen (Rubber; 2010), einen Mann mit einem Fetisch für Hirschleder-Mode (Monsieur Killerstyle; 2019), eine gewaltige Stubenfliege („Eine Fliege kommt selten allein“ / „Mandibules“; 2020) und eine Superhelden-Truppe militanter Nichtraucher (Smoking Causes Coughing; 2022) geht.

All diese Absonderlichkeiten (und sein gelegentlicher Hang zum Selbstrecycling vorheriger Ideen) konnte aber nicht verhindern, dass Dupieux nun der nächste Karrieresprung bevorsteht: Sein neuester Film Le deuxième acte / The Second Act, prominent besetzt mit Léa SeydouxVincent Lindon und Louis Garrel, eröffnet 2024 das wichtigste Festival der Welt in Cannes.

Mittlerweile ist Dupieux’ filmischer Output so rasant geworden, dass die Verleiher kaum mehr mit den Veröffentlichungen hinterherkommen. Daaaaaali! (2023) hat die deutschen Kinoleinwände noch nicht erreicht (unwahrscheinlich, ob dies abseits von Festivaleinsätzen überhaupt geschehen wird) und der nahezu zeitgleich entstandene Yannick ist seit Kurzem exklusiv auf der Streaming-Plattform MUBI zu sehen – immerhin. Was womöglich aber auch daran liegt, dass der Film mit gerade mal 64 Minuten Laufzeit nicht so recht in die Auswertungslogiken und -erfordernisse eines kommerzialisierten Kinospielbetriebs einfügen mag.

Jede Menge Spaß bereitet die Meta-Komödie über eine aus dem Ruder gelaufenen Aufführung einer schlechten Boulevard-Komödie in einem übersichtlich besetzten Pariser Theater aber trotz ihrer Kürze – oder vielleicht gerade deswegen. Was man aber anfangs noch nicht so recht ahnt, denn das Stück mit dem Titel Le Cocu (auf deutsch: „Der Gehörnte“), das hier zur Aufführung kommt, sorgt nicht gerade für Begeisterungsstürme beim gelangweilten Publikum. Bis schließlich mitten im Stück ein genervter Zuschauer namens Yannick (Raphaël Quenard) aufsteht und sich lauthals über den Krampf beklagt, der hier zum Besten gegeben wird.

Er sei, so gibt er dem langsam aus dem Theaterschlaf erwachenden und zunehmend interessierten Publikum und den verwunderten Darsteller*innen auf der Bühne zu Protokoll gibt, ein hart arbeitender Mann (Nachtwächter von Beruf), der viel auf sich genommen habe, einen Weg gefahren sei und sich sogar einen Tag Urlaub genommen habe, um sich abends unterhalten zu lassen. Doch davon könne hier ja wohl keine Rede sein. Schnell eskaliert die Situation, zumal dann auch noch eine Pistole ins Spiel kommt und so entwickelt sich ein rüder Diskurs über die Freiheit der Kunst einerseits und die Ansprüche eines Publikums andererseits, die aber niemals verkopfte Elogen werden, sondern zum Glück nah an den Figuren bleiben.

So erfrischend Yannicks dreiste Intervention in die träge sich abspielende Komödie anfangs auch sein mag, so sehr nervt seine Selbstgerechtigkeit und sein an populistischen Parolen geschulter Kunstbegriff mit der Zeit auch. Ist Kunst oder zumindest die Toleranz ihr gegenüber abhängig vom Gefallen des Publikums, das ein wie auch immer geartetes Recht auf Unterhaltung hat? Wie soll große Kunst überhaupt entstehen, die sich allein am Willen des Publikums ausrichtet? Und sind nicht andererseits auch die Kunstschaffenden gefangen in ihren Schubladen, in der festen Überzeugung, man verfüge selbst und exklusiv über das Wissen um das Wesen der Kunst und darüber, was man dem Publikum zumuten dürfe? Wohl kaum zufällig erinnern die beiden hier präsentierten Positionen an unerquickliche Auseinandersetzungen, die es seit Urzeiten gibt und die derzeit gefühlt noch gehäufter auftreten als früher.

Dass weder das auf die Bühne gebrachte Theaterstück noch die rabiat vorgetragene Kritik daran von großer intellektueller Raffinesse ist, schadet Dupieux’ vergleichsweise ernstem (für seine Maßstäbe zumindest) Film keineswegs. Es gibt knappe, aber wirkungsvolle Impulse, die Wechselwirkungen von Kunst und Leben, Fiktion und Realität, Produzent*innen und Rezipient*innen neu zu überdenken und sich mehr einzumischen in eine ewig alte und immer wieder neu zu führende diskursive Auseinandersetzung über das Wesen von Kunst und Kultur. Es muss ja nicht gleich mit der Pistole sein. Im Falle von Yannick (dem Film, nicht der Figur) reicht eine gute Idee, eine stilsichere Regie und der Wille, die vierte Wand zwischen dem Geschehen auf der Bühne und dem still vor sich hinkonsumierenden Publikum zu durchbrechen und damit die alte Ordnung zumindest für einen Moment aufzuheben.

Yannick (2023)

Eine Schwarze Komödie von Quentin Dupieux. Raphaël Quenard spielt in dem Film in der Titelrolle den Besucher eines Varietétheaters, der von dem Stück enttäuscht ist und daher die Schauspieler als Geisel nimmt und selbst die Regie übernimmt. 

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