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Mit vollem Einsatz spielt Birgit Minichmayr die Künstlerin Maria Lassnig – in Anja Salomonowitz’ „Mit einem Tiger schlafen“, einer originellen Mischung filmischer Gattungen.

Mit einem Tiger schlafen (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein direkter Blick

Biopics über bildende Künstler:innen sind zumeist ein schwieriges Unterfangen. Mal entstehen verfilmte Wikipedia-Artikel, die bei aller Nacherzählung der biografischen Stationen nichts über die Besonderheit der porträtierten Person zu sagen haben. Mal werden uns Dramen mit deutlichem Hang zur Seifenoper präsentiert, die sich vor allem für das Privat- und Liebesleben interessieren. Und mal wird allzu bemüht der künstlerische Stil der Hauptfigur imitiert, was selten zu mehr als einem hübschen Experiment führt.

Der Film, den die Drehbuchautorin und Regisseurin Anja Salomonowitz über die österreichische Malerin und Medienkünstlerin Maria Lassnig (1919-2014) realisiert hat, fällt nicht unter die oben genannten Kategorien. Mit einem Tiger schlafen ist weder konventionell und dröge, noch angestrengt experimentell – und ganz gewiss wird die Protagonistin darin nicht auf ihre Beziehungen zu Männern reduziert. Das Werk bewegt sich einfallsreich zwischen Spiel- und Dokumentarfilm. Birgit Minichmayr verkörpert Lassnig – sowohl als sehr junge Frau als auch im hohen Alter bis zum Tod. Dafür sind keine aufwendigen Make-up-Effekte vonnöten – es genügt Minichmayrs Mimik, Gestik und Proxemik, um zu erfassen, in welcher Lebensphase sich die Figur gerade befindet.

Die Inszenierung arbeitet auf diversen Ebenen mit dem Mittel der Verfremdung. Der Eindruck der Fiktion wird immer wieder gebrochen. Lassnig spricht dann direkt zu uns; sie schaut uns durch Jo Molitoris’ Kamera direkt an. Das passt zu ihren Gemälden, die ebenfalls etwas sehr Direktes an sich haben und oft den Blick auf ihre Betrachter:innen zurückwerfen. Zuweilen werden diese Gemälde eingeblendet, damit wir sie uns genau ansehen können; ebenso wird später einer ihrer Kurzfilme eingewoben.

Manchmal dürfen wir Lassnig im klassischen Sinne beobachten – etwa wie sie sich durch ihr Atelier bewegt, um ein neues Werk zu schaffen. Oder wenn sie eine Galerie betritt und sich erst mal heftig und laut beschwert: „Nein, nein, nein, so geht das nicht!“ Es sei alles „ganz falsch“, wie ihre Bilder da hängen und wie die Ausstellungsräume beleuchtet sind.

Ja, es war gewiss nicht einfach damals, mit Lassnig zu interagieren. Doch wir verstehen im Laufe des Films auch, woher ihr Gefühl kommt, ständig missverstanden und schlecht behandelt zu werden. Mit Starallüren und Größenwahn hat es jedenfalls nichts zu tun. Ohne ins Küchenpsychologische abzudriften, wird das angespannte Verhältnis zur Mutter (Johanna Orsini) beleuchtet, die es für das Wichtigste hält, dass ihre Tochter bitte möglichst schnell einen Mann findet. Von der Kunst werde sie ja keinesfalls leben können.

Salomonowitz beschönigt Lassnigs Werdegang nicht. In der NS-Zeit, in der sie an der Wiener Akademie der bildenden Künste ihr Studium der Malerei absolviert, lehnt sich Lassnig nicht gegen das Unrecht, das um sie herum geschieht, auf. Abermals auf direktem Wege, an uns als Zuschauer:innen gerichtet, nimmt die Protagonistin Stellung dazu. Wir begleiten Lassnig durch ihre anschließende Zeit in Klagenfurt, die sie zum Teil mit dem um eine Dekade jüngeren Maler Arnulf Rainer (Oskar Haag) verbringt. Viele Jahre später ist sie im East Village in New York City.

An einer Stelle kommen animierte Insekten herbeigekrabbelt, um beim abendlichen Nachhauseweg nach einem entmutigenden Tag ein Gemälde von ihr zu tragen – ein kleiner magischer Märchenmoment. Und natürlich taucht auch der titelgebende Tiger auf. Es gelingt der Regisseurin und der Hauptdarstellerin, eindringlich zu demonstrieren, wie zäh und frustrierend es für Lassnig gewesen sein muss, als Künstlerin meist unterschätzt zu werden. Die späte Anerkennung, die ihr dann doch noch widerfährt, kann sie letztlich kaum noch an sich heranlassen – zu tief sitzt der bittere Schmerz. Dennoch ist Mit einem Tiger schlafen kein finsterer Film, sondern durchwirkt von der eigenwilligen Kraft, die Lassnigs Werke ausstrahlen.

Gesehen auf der Berlinale 2024.

Mit einem Tiger schlafen (2024)

Birgit Minichmayr verkörpert Avantgarde-Malerin Maria Lassnig, in allen Altersstufen und psychischen Verfassungen. Radikal öffnet sie den Blick, nach innen und außen zugleich. Ein ungewöhnliches Biopic einer Künstlerin inmitten der Welt von Männern. (Quelle: Berlinale)

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