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In „Midwives“ nimmt uns Léa Fehner mit auf eine französische Entbindungsstation – und wirft uns in den aufreibenden Alltag der Hebammen.

Midwives (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Auf Station

Der erste Arbeitstag – und von Anfang an herrschen Hektik und Stress. Die Freundinnen und Mitbewohnerinnen Sofia (Khadija Kouyaté) und Louise (Héloïse Janjaud) nehmen ihre Tätigkeit als Hebammen auf einer Entbindungsstation auf und bekommen rasch zu spüren, dass hier eine Herausforderung auf die nächste folgt. Der berufliche Start verläuft für die beiden indes sehr unterschiedlich: Während Louise von ihrer älteren Kollegin Bénédicte (Myriem Akheddiou) immer wieder zurechtgewiesen wird, etwa weil sie im Umgang mit einer Patientin zu emotional reagiert, kann sich Sofia schnell beweisen und erlangt dadurch Respekt innerhalb der Belegschaft.

Die Regisseurin Léa Fehner, Jahrgang 1981, folgt in ihrem dritten Spielfilm Midwives den zwei jungen Frauen durch den Krankenhausalltag und lässt uns an dem permanenten Druck teilhaben, dem Sofia, Louise und alle Kolleg:innen ausgesetzt sind. Die (Hand-)Kamera von Jacques Girault nimmt die Anspannung in ihren vielen Bewegungen auf; gleichwohl zielt die Inszenierung weniger auf rasant choreografierte Einsätze ab, wie etwa die US-Fernsehserie Emergency Room – Die Notaufnahme (1994-2009). Stets ist die Frustration zu spüren, den einzelnen Patient:innen kaum gerecht werden zu können – als Teil eines extrem unterfinanzierten und völlig überlasteten Gesundheitssystems.

Das Skript, das Fehner gemeinsam mit Catherine Paillé geschrieben hat, setzt nicht auf dramaturgische Zuspitzungen. Teilweise hat der Film etwas Episodisches; er fängt aber auch einige langsame Entwicklungen im Laufe der Handlung ein. So verkehren sich beispielsweise die anfänglichen Erfahrungen von Sofia und Louise später ins Gegenteil: Plötzlich hat Louise diverse Erfolgserlebnisse und Sofia hat mit Problemen und Unsicherheiten zu kämpfen.

Nicht zuletzt erzählt Midwives auch davon, wie der Beruf das Privatleben beeinflusst – und wie schwer es manchmal sein kann, klare Grenzen zu ziehen. So nehmen Sofia und der Praktikant Valentin (Quentin Vernede), der in die WG der Freundinnen zieht, kurzerhand eine Patientin und deren Kind bei sich auf – und realisieren erst allmählich, welche Verantwortung sie damit übernommen haben.

Deutlich wird bei alledem, dass jeder Tag neue Prüfungen bereithält und sich niemals Routine einstellt. Mal muss sich die Belegschaft fragen, ob der Mann einer Patientin womöglich gewalttätig in der Ehe ist, mal sorgen technische Schwierigkeiten für Komplikationen. Beim Zeigen von Gruppenbesprechungen erfasst der Film gekonnt die unterschiedlichen Dynamiken, die im Umgang mit solchen Herausforderungen entstehen – von Schuldzuweisungen bis hin zu Galgenhumor. Nebenbei wird über die Option, in Streik zu treten, diskutiert.

Zuweilen reden hier alle durcheinander, ähnlich wie in den Werken von Robert Altman (Nashville). Was Midwives mit Altmans Œuvre zudem gemein hat, ist der interessierte und empathische Blick in ein Milieu. Wir sind beim Dienst an den Weihnachtsfeiertagen und zum Jahreswechsel dabei. Irgendwann haben wir das Gefühl, die Flure und Zimmer dieser Station sowie die Leute, die dort arbeiten, richtig gut zu kennen. Das große Krankenhaus – „eine Stadt in einer Stadt“, wie es an einer Stelle heißt – bleibt ein unüberschaubarer Ort; die Entbindungsstation hingegen wird uns durch Sofia und Louise vertraut.

Midwives (2023)

Noch bevor wir Sofia und Louise auf der Entbindungsstation begegnen: Sirenen. Die Situation ist laut, hektisch, am Limit, nicht nur die Fruchtblase scheint bald zu platzen. Die beiden Freundinnen und Mitbewohnerinnen starten gemeinsam in ihren ersten Tag als Hebammen. Für die Einarbeitung ist kaum Zeit. Hineingeworfen in den Stationsalltag zwischen überfüllten Fluren, Kreißsälen und Monitoren, haben Sofia und Louise einen sehr unterschiedlichen Start. Schon bald fordert die angespannte Situation zwischen Fürsorge und permanentem Stress auch ihre Freundschaft heraus.

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