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In „Les gens d’à côté“ lässt André Téchiné seinen Star Isabelle Huppert als Polizeiangestellte in einen persönlichen Konflikt schlittern.

Les gens d’à côté (2024)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Mehr Feuer!

Der 1943 geborene französische Regisseur André Téchiné schuf mit „Wilde Herzen“ (1994) eine der schönsten kinematografischen Coming-of-Age-Geschichten. Auch „Diebe der Nacht“ (1996), „Wir waren Zeugen“ (2007) und „Mit siebzehn“ (2016) sind kraftvolle Werke. Seine neue Arbeit „Les gens d’à côté“ kann indes nur bedingt daran anknüpfen – obwohl es hier nach mehreren Dekaden zu einer weiteren Kollaboration mit Isabelle Huppert kommt. Diese stand bereits mit Mitte 20 für das Biopic „Die Schwestern Brontë“ (1979) für Téchiné vor der Kamera.

Die aktuelle Zusammenarbeit der beiden erzählt von Lucie (Huppert), die als Forensikerin bei der Polizei tätig ist. Für den Suizid ihres beruflichen und privaten Partners Slimane (Moustapha Mbengue) macht sie in erster Linie die mangelnde Unterstützung durch ihren Arbeitgeber und durch die Polizeigewerkschaft verantwortlich. Als freundlicher Geist erscheint Slimane Lucie derweil immer noch gelegentlich. Insgesamt lebt sie seit dem Vorfall sehr zurückgezogen.

Als das junge Ehepaar Julia (Hafsia Herzi) und Yann (Nahuel Pérez Biscayart) mit der gemeinsamen kleinen Tochter Rose (Romane Meunier) ins Nachbarhaus einzieht, entwickelt Lucie insbesondere zu Julia und dem Mädchen rasch eine enge Bindung. Das Verhältnis zwischen ihr und Yann bleibt hingegen ambivalent. Sie verschweigt ihren Beruf, da Yann ein Anti-Polizei-Aktivist ist und durch sein aggressives Verhalten bei A.C.A.B.-Protesten über ein langes Vorstrafenregister verfügt.

Trotz der guten Besetzung ist Les gens d’à côté überwiegend ein sehr schematischer Film, der den behandelten Themen kaum gerecht wird. Das Drehbuch, das Téchiné zusammen mit Régis de Martrin-Donos verfasst hat, und die Inszenierung wählen einen weitgehend unaufgeregten Ton, der zuweilen allerdings schon ins Behäbige abdriftet. Es gelingt nicht, den Problemen der Figuren – zum Beispiel dem moralischen Dilemma, in das Lucie gerät – eine Dringlichkeit und Intensität zu verleihen. Die Positionen, die Lucie und Yann vertreten, werden nie vertieft; der Plot und die Dialoge verlassen nie die Oberfläche, um sich komplexen Fragen zu widmen.

Von einem „Spiel mit dem Feuer“ ist an einer Stelle die Rede. Während Téchiné diese Spannung etwa im Krimidrama Diebe der Nacht in den Interaktionen der Figuren spürbar machen konnte, bleibt hier vieles eher Behauptung. Die Bilder der von Georges Lechaptois geführten Kamera wirken verblüffend bieder – und auch der Score von Olivier Marguerit lässt eher an eine zahme, wenig ambitionierte Fernsehproduktion denken. Wenn Yann in einer Passage des Films leicht selbstvergessen auf einem Parkplatz zur einstigen Lieblingsmusik von Lucies verstorbenem Partner zu tanzen beginnt, flackert kurz der wilde, unbändige Stil auf, der Téchinés frühere Werke auszeichnet. Von diesen Momenten hätte es entschieden mehr geben müssen, um die Flammen des Feuers in Les gens d’à côté als Zuschauer:in zu erkennen.

Gesehen bei der Berlinale 2024.

Les gens d’à côté (2024)

Das zurückgezogene Leben der Polizeibeamtin Lucie wird gestört, als ein junges Paar mit seiner kleinen Tochter ins Nachbarhaus einzieht. Sie freundet sich mit den beiden an, findet aber dann heraus, dass der Vater ein Anti-Polizei-Aktivist ist… (Quelle: Berlinale)

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