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In ihrem experimentellen Werk „Die Höhenluft – für Alle und Keinen“ nimmt uns Mika’Ela Fisher mit auf einen rätselhaften Bergtrip.

Die Höhenluft – für Alle und Keinen (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Die Unzertrennlichen

„Die Höhenluft – für Alle und Keinen“ beginnt mit einem Zitat von Friedrich Nietzsche, der auch im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle spielt. Es geht um das Sein als Mensch und Tier. Dann ist hinter wehenden weißen Gardinen eine nackte Person zu sehen, die wir als weiblich lesen – was direkt thematisiert wird: „Ich habe meinen Namen vergessen. Man ruft mich ‚Dame‘. Da ich den Anschein gebe, eine Frau zu sein.“ Das Gleiche wiederholt sich mit einer männlich gelesenen Person – und schließlich mit einer Katze, deren Miauen in den englischen Untertiteln übersetzt wird.

Wenn wir nach einem Szenenwechsel die beiden Hauptfiguren gezeigt bekommen, die in altmodischer Tracht in einem Zug sitzen und sich seltsam synchron bewegen, müssen wir eventuell schon die Zuschreibung, dass es sich dabei um eine Frau und einen Mann handelt, infrage stellen. Dieses Duo, verkörpert von Mika’Ela Fisher der 1975 in München geborenen Drehbuchautorin und Regisseurin des Werks, und Laurens Walter, begibt sich auf eine gemeinsame Wanderung in die Berge.

Die Landschaft wird von Kameramann Sylvain Garnier-Goutard in eindrückliche, wunderschöne Bilder gefasst – doch die Musik des Komponisten Sébastien Rostagno sorgt von Anfang an für eine äußerst unbehagliche Stimmung. Hier könnte jeden Moment etwas zutiefst Verstörendes passieren, scheint sie uns mitteilen zu wollen. Wird sich Höhenluft zum Psycho- oder Horrorthriller entwickeln? Detailaufnahmen von Schnecken, Würmern oder Raupen lassen gar vermuten, dass sich die Natur gegen die Menschen, die sich aufdringlich und rabiat darin gebärden, auflehnen könnte.

Via Voice-over kommentiert ein Beobachter das Geschehen, wirft Zitate ein – und auch das mysteriöse Leinwandpaar beobachtet (durch Fernrohre) und rezitiert. Hin und wieder wird gesungen, etwa über Marionetten. Zwischen den beiden scheint sich ein fieses Machtspiel zu entspinnen. Und dann kommt eine Dritte hinzu, die Sportlerin X (Aurélie Lamachère). In einer luxuriösen Unterkunft finden Momente der Verführung statt. Die von Fisher verkörperte Figur versucht, sich der Athletin durch gemeinsames Training zu nähern; die von Walter verkörperte Figur greift auf die Mittel der Poesie zurück.

Erst allmählich erfahren wir mehr über die zwei rivalisierenden Protagonist:innen und deren Verhältnis zueinander. „Unzertrennlich, seit jeher“ seien sie, wird der erstaunten X und uns erklärt. Die beiden sind sich in vielem gleich und doch absolute Gegensätze in ihrer Ausstrahlung. Irgendwann folgt in Filmen über Dreiecksbeziehungen zwangsläufig der Augenblick der Entscheidung. Auch hier wird die Entweder-oder-Frage gestellt; die Reaktion von X ist aber wesentlich interessanter.

Höhenluft ist gewiss ein überaus abstrakter, sperriger Film, der zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten durch literarische Bezüge und Andeutungen auslegt. Nicht unbedingt ein Film „für alle“, allerdings auch nicht „für keinen“ – sondern für jene, die sich darauf einlassen wollen, in eine Welt einzutauchen, die voller Diskrepanzen ist: Schönheit und Bedrohung, Kälte und Leidenschaft. Eine Welt, in der die Dinge uneindeutig sind – auch wenn ihnen Namen gegeben werden, um eine Illusion von Ordnung zu erzeugen.

Die Höhenluft – für Alle und Keinen (2023)

Ein Beobachter, der weder zu erfassen, noch sichtbar ist, wird Zeuge eines infamen Schauspiels mitten im Gebirge. Seine Stimme kommentiert die Abläufe des Geschehens, nach Worten von Nietzsche.
 Ein Paar ist zu sehen. Sie tragen die gleiche Kleidung, und ihre Ähnlichkeit ist verblüffend. Es sind Spenta und Angra, die einen der Berge ersteigen und ihre Beziehung zueinander scheint selt­sam. Angra, von Langeweile getrieben, verwickelt Spenta in ein Spiel, obwohl dieser zunächst nicht will. Als die beiden einen Marathon­lauf von einem der Berg­gipfel aus beobachten, ent­schliesst Angra, ihr Spiel­objekt in der laufenden Masse zu suchen. Ihre Wahl fällt auf eine namen­lose Frau. Sie beginnt um die Gunst der Unbekannten zu werben; und erreicht so, dass Spenta mit in ihre Spiele einsteigt. Es entsteht schliesslich ein Wettbewerb.
 Gewinner gibt es keinen.

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