Ken Loach

Ken Loach

Keine Frage – der kriegerische Ken steht für große Geschichten, große Gefühle, ob in den Bürgerkriegen von Spanien oder Nicaragua. Er analysiert die soziologischen Positionen illegaler US-Immigranten und durchleuchtet die Sozial-Topographie der Gleisarbeiter im Werkskampf: „Loachs Kino ist durchaus am Puls der Zeit. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, mit welcher Souveränität er realitätsgesättigte Szenen über die Dialektik von Privatheit und Öffentlichkeit, Solidarität und Klassen-bewußtsein entwirft“, philosophiert der „Filmdienst“ über Ken Loach.

Loach’s eigene Vita spricht Bände: Als Sohn eines Elektrikers am 17.Juni 1936 geboren, studierte er Jura am St Peter’s College der Oxford University; gleichwohl begann er als Schauspieler an einem Tourneetheater und wechselte 1964 zur BBC.

Landesweite Aufmerksamkeit erregte der kühl Kalkulierende mit dem Sozialdrama Cathy Come Home (1966), einem Film über ein junges Paar und dessen unverschuldeter Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und schließlich Wegnahme der gemeinsamen Kinder durch die Sozialbehörden. Da er als bekennender Trotzkist bekannt gewesen war, versuchte man ihm in den 1970er Jahren und besonders in der Thatcher-Ära durch Sendungsverbote und Zensurmaßnahmen das Arbeiten zu erschweren.

Loach ist leider erst spät in seinem Leben als einer der bedeutsamsten europäischen Filmemacher anerkannt worden. Seine Filme stehen in der Tradition des italienischen Neorealismus à la Fahrraddiebe oder La Strada. Diese Kernintentionen entwickelte er dann in seinen Epen zu einem britischen Sozialrealismus weiter. So schuf er seit den 60iger Jahren einige bedeutsame Werke, die ein exaktes Bild der zeitgenössischen gesellschaftlichen Situation seines Landes widerspiegeln.

Ken Loach war mit seinen Filmen häufig auf der Berlinale vertreten und gewann dort diverse Preise. Zuletzt erhielt er die Preise der Ökumenischen Jury und der Jury der Gilde-Filmtheater 2004 für seinen Film Just a Kiss.
Völlig überraschend gewann Loach auch im Mai 2006 die begehrte Goldene Palme auf den 59. Filmfestspielen von Cannes für The Wind That Shakes The Barley: Ein intensives Drama um den irischen Freiheitskampf um 1920.

„Loach liegt am Herzen, was der Film zeigen soll, die Emotionen, die er transportieren soll, und er unterstreicht deswegen die Bedeutung der Arbeit mit den Schauspielern“, deutet www.arte-tv.com die gesamte Bandbreite des Loachen Schaffens. In der Tat ist es um das so hoch gepriesene britische Kino in den letzten Jahren ziemlich still geworden. Während die Franzosen in Qualität, Quantität, vor allem Intensität gewohnt weitgestreut zu Werke gehen, in Deutschland und Italien hingegen eine sehr engagierte Regisseursgeneration im Wachstum begriffen ist, machen ein paar Namen der ehemals 68iger die cineastische Macro-Kultur (man denke an Neil Jordan) Großbritanniens weitgehend unter sich aus.

Stephen Frears, der beispielsweise in den Achtzigern das New British Cinema begründete und mit der ewigen Multikulti-Thematik (Mein wunderbarer Waschsalon) den letzten großen filmhistorischen Impuls seines Landes setzte, verheddert sich seit Jahren zwischen namenlosen heimischen Produktionen und mittelprächtigen Hollywood-Auftragswerken. Auch der gigantische Mike Leigh, einstens mit Naked auf der cinéastischen Weltbühne, meldet sich mit Beachtlichem (Secrets and Lies, Vera Drake) nur noch in beträchtlichen Zäsuren zu Wort. Die nachfolgende Fourty-Generation vertritt ein außergewöhnlich dynamischer Michael Winterbottom. Leider wirkt sein Werk derart trocken thematisch und spezifisch genrebezogen, daß man denken möchte, er wolle im Alleingang die britische Filmproduktion auf den Schultern tragen. Was bleibt übrig?: Klar, Ken Loach, ernsthaft wie Leigh und produktiv wie Winterbottom, mag der nicht gerade mit Wandlungsfähigkeit bestückt, dafür kolportiert er jedoch das Reizwort Engagement am besten von allen.

(Jean Lüdeke)

Filmographie – Ken Loach (Auswahl)

2010
Route Irish

2009
Looking for Eric

2007
It’s a Free World
Chacun son cinéma (Segment: Happy Ending)

2006
The Wind That Shakes the Barley

2005
Tickets (mit Ermanno Olmi und Abbas Kiarostami)

2004
Just A Kiss (Ae Fond Kiss)

2002
Sweet Sixteen
11‘09“01 – September 11

2001
The Navigators – Geschichten von den Gleisen (The Navigators)

2000
Brot und Rosen (Bread and Roses; mit Adrien Brody)

1998
Mein Name ist Joe (My Name is Joe)

1996
Carla’s Song

1995
Land and Freedom (mit Ian Hart)

1994
Ladybird Ladybird

1993
Raining Stones

1990
Geheimprotokoll (Hidden Agenda; mit Frances McDormand)
Riff-Raff

1986
Vaterland (Fatherland)

1981
Erwartungen und Enttäuschungen – Looks and Smiles (Looks and Smiles)

1980
The Gamekeeper

1979
Black Jack, der Galgenvogel (Black Jack)

1971
Family Life

1969
Kes

1967
Poor Cow – geküsst und geschlagen (Poor Cow)

1966
Cathy Come Home
Filmstill zu The Old Oak (2023) von Ken Loach
The Old Oak (2023) von Ken Loach
Kritik

The Old Oak (2023)

Ken Loach wurde bisher ganze 15 Mal in Cannes eingeladen, so oft wie noch kein anderer Regisseur. Sein diesjähriger Film “The Old Oak”, der die Integration von syrischen Flüchtlingen in einer nordenglischen Gemeinde thematisiert, fügt sich nahtlos in die Filmografie des politischen Regisseurs ein […]