Noam Chomsky

Noam Chomsky

Anarchist, politischer Analytiker, Professor für Linguistik und Philosophie am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge in Boston — Noam Chomsky ist all das und oftmals sogar in dieser Reihenfolge. Seine Vielseitigkeit, seine wissenschaftlichen und politischen Publikationen und Vorträge machten ihn zu einem der am meisten gelesenen und zitierten lebenden Publizisten.

Er gilt heute als einer der führenden Sprachwissenschaftler unserer Zeit und gleichzeitig als einer der einflussreichsten westlichen Intellektuellen und bekanntesten Dissidenten der Welt.

Noam Chomsky wurde am 7.12. 1928 geboren. Aufgewachsen in einem antisemitischen Arbeiterviertel seiner Heimatstadt Philadelphia, beschäftigte er sich früh mit dem Bürgerkrieg und der anarchistischen Revolution in Spanien sowie mit den Schriften Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts und des Anarcho-Syndikalisten Rudolf Rocker. Er besuchte einen Kibbuz, gab aber den ursprünglichen Plan, für längere Zeit nach Israel zu gehen, wegen der israelischen Politik bald wieder auf und studierte an der University of Pennsylvania, an der er 1955 seine Dissertation Syntactic Structures vorlegte. Im gleichen Jahr begann er sein wissenschaftliche Karriere am MIT, zuerst als Assistenzprofessor und seit 1961 als ordentlicher Professor für Linguistik und Philosophie.

In den 60er Jahren wurde seine bahnbrechende linguistische Arbeit anerkannt, und seitdem gilt er als einer der wichtigsten Theoretiker auf diesem Gebiet. Über das sprachwissenschaftlich interessierte Publikum hinaus bekannt wurde er allerdings als einer der bedeutendsten Kritiker der US-Außenpolitik, der weltpolitischen Entwicklungen und der Macht der Medien. Mit seinen detaillierten und faktenreichen Untersuchungen zerpflückte er den US-amerikanischen Mythos von der freiheitsliebenden und menschenfreundlichen demokratischen Supermacht. Er kritisierte den Vietnamkrieg ebenso wie die Interventionspolitik in Kuba, Haiti, Ost-Timor, in der Türkei, Nicaragua und Lateinamerika, Palästina und dem Nahen Osten, und im Kosovo. Er fordert die Anerkennung der Menschenrechte, äußert sich über die Rolle des modernen Staates und zu den Folgen der kapitalistischen Globalisierung und einer neoliberalen Weltordnung. Immer wieder beschrieben und kritisiert werden von ihm die realen Verhältnisse von ökonomischer Ausbeutung und wirtschaftlicher, sozialer und politischer Macht, die heute die internationale Ordnung und die gesellschaftliche Realität innerhalb der einzelnen Länder bestimmen.
Sein besonderes Augenmerk gilt dabei der Funktion der Medien und deren manipulative Methoden bei der "Herstellung von Konsens". Denn ohne eine weitgehende Akzeptanz in der Öffentlichkeit ist die von ihm kritisierte Politik nicht vorstellbar.

Chomsky erhielt für seine sprachwissenschaftlichen Forschungen zahlreiche akademische Ehrungen; seine politischen Analysen werden jedoch von denen, die ihn sonst wegen seiner linguistischen Erkenntnisse fortwährend loben, weitgehend totgeschwiegen. In den USA und Kanada erscheinen seine Bücher überwiegend in den kleinen Verlagen South End Press und Black Rose Books, in Deutschland im Trotzdem Verlag, in der Schweiz bei der Edition 8 (Zürich).

Als Noam Chomsky, Sohn zweier Hebräischlehrer, nach dem Zweiten Weltkrieg begann, Linguistik zu studieren, hatte sich an den amerikanischen Hochschulen der Behaviorismus als Grundrichtung der Psychologie allgemein durchgesetzt. Diese das Verhalten eines Organismus auf den Reiz-Reaktions-Zusammenhang reduzierende Methode wurde von einigen Sprachwissenschaftlern (vor allem B. F. Skinner) auch auf das Erlernen von Sprachen angewandt, mit der Schlussfolgerung, dass Kinder ihre Muttersprache durch Nachahmung, Übung und Wiederholung erlernten.

Für Chomsky sprachen schon damals zwei Erfahrungen gegen diese Theorie. Erstens gehen Kinder sehr kreativ mit Sprache um. Sie wiederholen keineswegs nur auswendig gelernte Sätze, sondern ergründen die Regeln hinter dem Gehörten mit einer konsequenten Logik, weshalb es zu solcher "überlogischen" Grammatik kommen kann wie in dem Satz: "Ich habe den Ball gewerft." Dieses Beispiel zeigt, dass Kinder intuitiv Regeln anwenden und nicht Sätze auswendig lernen. Zweitens würden Kinder, wenn sie Sätze für bestimmte Zusammenhänge sammeln würden, niemals genug Wörter und Sätze zur Verfügung haben, zumal Erwachsene oft eine Babysprache mit Kindern sprechen. Kinder "generieren" aber neue Sätze aus den ihnen bekannten Wörtern — und zwar in unendlicher Zahl. Diese Fähigkeit wird ihnen jedoch nicht beigebracht, sondern diese Fähigkeit ist eine genetische Veranlagung. Sprache wird in ihrem syntaktischen Kern nicht gelernt. Hinzu kommt, dass jedes Kind, egal welcher Abstammung, in der Lage ist, jede Sprache zu lernen. Ein in Kairo lebendes japanisches Kind lernt Arabisch genauso perfekt wie ein in Paris lebendes deutsches Kind Französisch. Es muss also eine Grammatik für alle Sprachen geben, eine "Tiefenstruktur" — quasi das Sprachvermögen aller Menschen: Chomskys Universal Grammar. Hier beginnen für Chomsky allerdings die Schwierigkeiten, denn er kann nur die "Oberflächenstruktur" einer Sprache untersuchen, z. B. gesprochenes oder geschriebenes Englisch. An die Tiefenstruktur menschlichen Sprachvermögens, deren Existenz er beweisen möchte, aber kommt er nicht heran. Deshalb muss er nach Spuren der Tiefenstruktur in der Oberflächenstruktur suchen. Ein wichtiges Hilfsmittel dafür sind "unmögliche Sätze", die frei von jeder Semantik sind und die zeigen, dass es eine Grammatik jenseits von Bedeutungen gibt. Chomskys berühmtes Beispiel lautet: "Colorless green ideas sleep furiously." Selbst in diesem scheinbar sinnlosen Satz möchte der Muttersprachler einen anderen Satzbau meiden, etwa: "Sleep colorless green furiously ideas." Anhand solcher Sätze versuchte Chomsky, die universalen Strukturen der Sprache zu finden.

1957 veröffentlichte Chomsky Strukturen der Syntax. Er stellt darin eine endliche Zahl von Kernsätzen vor, Komponenten, aus denen sich unendlich viele syntaktische Verbindungen erzeugen ließen. In den sechziger Jahren erweiterte Chomsky seine Theorien und wurde gleichzeitig international bekannt. Er führte den Begriff der "linguistischen Kompetenz" ein, der dem Menschen eine grundlegende kognitive Fähigkeit zuschreibt, Sätze erzeugen zu können, denen auf syntaktischer Ebene die abstrakte Repräsentation der Sätze vorausgeht, die alle jene Informationen erhält, die wichtig für die semantische und phonologische Interpretation sind. Noam Chomsky hat mit seinen Theorien die moderne Linguistik grundlegend verändert.

Sprachwissenschaftliche Publikationen

Three Models for the Description of Language,1956
Syntactic Structures, 1957
Language and Mind, 1972
Rules and Representations, 1980
Knowledge of Language. Its Nature, Origin and Use, 1986
Language and Thougth, 1993

Sonstige Publikationen (neuere Auswahl)

Manufacturing Consent 1990
War against People, 2001
Profit over People, 2001
Film

Is the Man Who Is Tall Happy?

Regisseur Michel Gondry (“Der Schaum der Tage”) bringt seine Unterhaltung mit dem amerikanischen Professor und Sprachwissenschaftler Noam Chomsky auf ungewöhnliche Weise auf die Kinoleinwände: Mit Hilfe von handgezeichneten Animationen illustriert er die Ausführungen Chomskys und untermalt so dessen […]