Auge um Auge

Eine Filmkritik von Rajko Burchardt

Im Schmelztiegel des amerikanischen Traums

Nichts geht mehr in Braddock, Pennsylvania. Seit die Stahlindustrie in den 70er und 80er Jahren rund um Pittsburgh kollabierte, ist der einstige Wirtschaftswunderbezirk ein gottverlassener Ort. Wer hier noch immer nicht das Weite gesucht hat, so vermittelt es Auge um Auge (der bessere Originaltitel lautet Out of the Furnace), muss vollständig verloren sein – im endgültigen Abschwung der Fabrik- und Bergwerksüberbleibsel, in Arbeits- und Perspektivlosigkeit, in einer sich verselbstständigten Kriminalität, der niemand Herr werden kann und vielleicht auch gar nicht Herr werden will.
Der örtliche Polizeichef Wesley Barnes (Forest Whitaker) zumindest weiß um die Probleme seiner Gegend, fühlt sich aber nicht imstande, etwas gegen illegal organisierte Boxkämpfe oder den ungestört florierenden Drogenhandel ausrichten zu können. Als Noch-Stahlarbeiter Russell Baze (Christian Bale) ihn nach einem Gefängnisaufenthalt zähneknirschend um Hilfe ersucht – der Lokalsheriff ist nunmehr mit Russells ehemaliger Freundin Lena (Zoe Saldana) liiert –, macht Barnes ihm unmissverständlich klar, nichts gegen den brutalen Redneck Harlan DeGroat (Woody Harrelson) unternehmen zu können. Dieser ist immerhin für das Verschwinden von Russells Bruder Rodney (Casey Affleck) verantwortlich, scheint aber mitsamt einer Armada hinterwäldlerischer Rowdys schlicht über dem Gesetz zu stehen.

Casey Afflecks Figur eines heimgekehrten Irakkriegssoldaten, der Braddock den Rücken kehrte und doch nicht die Schranken seiner sozialen Herkunft überwinden kann, ist der Motor dieser Geschichte und versinnbildlicht deren ganzen pessimistischen Entwurf. Christian Bale, angenehm zurückgenommen, fast meditativ als in der Kirche Zuflucht suchender Verweigerer allen Unrechts, muss deshalb nicht nur seinen Bruder, sondern den aufrechten kleinen Mann per se rächen: einzig sein gewalttätiger Alleingang wider Willen mag vielleicht jenes übergeordnete Wohl wiederherstellen, das ihm, seiner Familie und natürlich auch seiner Heimat abhanden gekommen ist. Ein reaktionärer Klassiker des amerikanischen Kinos, hier mit Authentizität suggerierender Shaky-Cam im Indie-Duktus dargereicht. Und offenbar so pessimistisch, dass tatsächliche Bewohner der im Film als ein rechtsfreier Raum gezeichneten Ramapo Mountains zu einem Boykott aufriefen und die Produzenten verklagten.

Bevor Auge um Auge, der nach dem Musikdrama Crazy Heart zweite Film von Regisseur Scott Cooper, sich aber nun zum leider recht absehbaren Vigilantismus-Thriller (zurück-)entwickelt, blickt er immerhin tief ins Herz trister Americana-Finsternis. Sein Handlungsort Braddock, dieses industrielle Brachland bar jeder Hoffnung, ist von zentralem Charakter. Unbemerkt läuft Obamas Antrittsrede auf den Fernsehern hiesiger Kneipen, wenn in deren Hinterzimmern wie selbstverständlich kriminelle Geschäfte abgewickelt werden. Man kennt sich in Braddock, man weiß wie es läuft. Man hat sich mit der Unausweichlichkeit zerschellender Träume arrangiert, und damit, dass die „da oben“ sowieso nichts für „uns hier unten“ tun werden. Wer es dann also mit einem stadtbekannten Rüpel wie Harlan DeGroat aufnehmen will, der muss das schon allein oder maximal noch mit einem schweigsamen Gefährten (toll: Sam Shepard) an seiner Seite tun.

Über den klobigen Plotbau dieser von tränenblinder Schwermut ummantelten Räuberpistole muss man jedoch selbst als Freund pathetischer Selbstjustizdramen großzügig hinwegsehen. Wenn etwa Christian Bale im Mülleimer über die Boxbinden seines Bruders stolpert und damit die abzeichnende Gefahr erahnt. Oder wenn Woody Harrelsons Übergriff im Auto praktischerweise durch ein heruntergefallenes Handy aufgezeichnet wird, um des Bruders Rächer so auf die richtige Fährte bringen zu können. Dann übertönt das lautstarke Rascheln der Drehbuchseiten wirklich jeden finalen Schuss.

Auge um Auge

Nichts geht mehr in Braddock, Pennsylvania. Seit die Stahlindustrie in den 70er und 80er Jahren rund um Pittsburgh kollabierte, ist der einstige Wirtschaftswunderbezirk ein gottverlassener Ort. Wer hier noch immer nicht das Weite gesucht hat, so vermittelt es „Auge um Auge“ (der bessere Originaltitel lautet „Out of the Furnace“), muss vollständig verloren sein – im endgültigen Abschwung der Fabrik- und Bergwerksüberbleibsel, in Arbeits- und Perspektivlosigkeit, in einer sich verselbstständigten Kriminalität, der niemand Herr werden kann und vielleicht auch gar nicht Herr werden will.
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