Canibal

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Der Steuerberater unter den Kannibalen

In weiter Ferne eine Tankstelle. Ein Auto, zwei Menschen: Sie sind ein Paar, sie küssen sich und fahren weiter. Ein Auto folgt ihnen, überholt sie, kommt frontal auf sie zu und provoziert einen tödlichen Unfall. Eine dunkle Figur steigt aus dem anderen Wagen und zerrt die Leiche der Frau in seinen Kofferraum. Ein unbehaglicher Filmanfang ist das, vor allem bei einem Film mit dem Namen Caníbal.
Vielleicht gleich vorab, dieser Film ist kein blutrünstiger Horrorfilm, bei dem sich die Kamera voyeuristisch an Blut und Eingeweiden ergötzt. Vielmehr ist Caníbal eine Arthouse-Variation des Themas — ein leiser und präziser Film, dem es um das Innenleben des Mannes geht, der Frauen schlachtet und jeden Abend ein wohl filettiertes Teil von ihnen zu einem Glas Rotwein genießt. Dementsprechend beobachtet man lange Zeit nur den Alltag des Mörders. Tagsüber ist er Schneider für Maßanzüge und in seinem kleinen spanischen Ort wohl bekannt. Seine Arbeitsstätte liegt nur wenige Schritte von seinem Haus entfernt. Alles in seinem Leben ist korrekt und ordentlich. Seine Kleidung, sein Tagesablauf, ja sogar das Töten — alles folgt einer präzisen Choreografie, die schnell verdeutlicht, dass dieser Mann keinerlei Gefühle für Mitmenschen hegt und ihm das Töten absolut nichts ausmacht. Ein klassischer Kannibale vom Schlage Hannibal Lecters also.

Doch eines Tages zieht eine schrille und durch und durch sexuell aktive junge Frau in die Nachbarwohnung und stört seine Rituale. Denn er begehrt sie und kann doch mit ihr nicht umgehen. So tut er das, was er am Besten kann, löst damit aber eine Kettenreaktion aus, denn die Schwester der Frau sucht die Verschwundene und lässt ihn nicht mehr in Ruhe. Und ausgerechnet er, der Gefühlskalte, verliebt sich in sie.

So interessant die Idee an einer ruhigen und neutralen Beobachtung dieses Mannes ist, vor allem, wenn dieser plötzlich zum ersten Mal in seinem Leben Gefühle für einen Menschen hegt, so sehr erstickt der Film nach einer Weile an dieser distanzierten Haltung. Die perfekte Inszenierung, die stets bis ins kleinste Detail konstruierten Bilder lassen keinerlei Empathie (oder Antipathie) zu und so kommt auch keinerlei Gefühl für die Geschichte oder die Figur auf. Und das bei einem Film mit solch einem emotionalen Thema, das einem normalerweise sehr viele Gefühlsregungen abverlangen würde. Doch Caníbal ist so glatt und gleichzeitig so verkopft, dass es einem irgendwann völlig egal ist, was dort auf der Leinwand eigentlich passiert — ja man wünscht sich sogar, dass der Kannibale der von ihm Verehrten möglichst bald ein Ende bereitet, damit der Film aufhört. So bleibt Caníbal eher der Steuerberater unter den Kannibalen und kann auf der nach oben offenen „Hannibal-Lecter-Skala“ für Ausstrahlung und Spannung nur 6.5 von 10 Punkten einheimsen.

Canibal

In weiter Ferne eine Tankstelle. Ein Auto, zwei Menschen: Sie sind ein Paar, sie küssen sich und fahren weiter. Ein Auto folgt ihnen, überholt sie, kommt frontal auf sie zu und provoziert einen tödlichen Unfall. Eine dunkle Figur steigt aus dem anderen Wagen und zerrt die Leiche der Frau in seinen Kofferraum.
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