Das andere Rom

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Entlang der Straße

Die „Autostrada del Grande Raccordo Anulare“ ist die Ringautobahn, die die italienische Hauptstadt umkreist und von den Einwohnern nur als „GRA“ bezeichnet wird. Der offizielle Name A90 hat sich niemals durchgesetzt. Dieser Umstand deutet schon daraufhin, dass die GRA mehr ist als nur eine Autobahn. Sie scheint neben ihrer praktischen noch eine andere Bedeutung zu haben. Vielleicht eine symbolische?!
Regisseur Gianfranco Rosi jedoch legt seinen Fokus ist nicht auf die Straße, sondern auf die Personen, die sie verbindet. In seinem Dokumentarfilm bringt er Menschen unterschiedlicher Herkunft und Schichtzugehörigkeit zusammen, die er in ihrem Alltag begleitet. Rosi führt keine Interviews, er erzählt keine Geschichte, er ist ausschließlich ein Beobachter. Seine Kamera scheint für die Protagonisten fast unsichtbar zu sein, denn nur sehr selten verirrt sich ein Blick in die Linse. Die Menschen, die wir in Das andere Rom kennenlernen, sind besonders. Rosi präsentiert uns weder Berühmtheiten noch Normalos, sondern Menschen, die irgendwo zwischen diesen Polen schweben und es ohne diesen Film mit Sicherheit niemals auf eine Kinoleinwand geschafft hätten. Außer vielleicht der Schauspieler Gaetano, doch der lässt sich inzwischen vor allem für Foto-Lovestorys ablichten.

Die verschiedenen Protagonisten haben wenig gemeinsam. Sie verbindet vor allem ihre geographische Nähe zur GRA, aber auch ihr Charakter. Gianfranco Rosi hat besondere Typen für seinen Film ausgewählt, Menschen, die uns durch ihre Eigenarten zum Schmunzeln bringen, ohne dass wir das Gefühl hätten, uns über sie lustig zu machen. Da ist der Biologe Francesco, der durch die Palmenhaine läuft und mit wahrem Kämpfergeist die Pflanzen nach Parasiten durchsucht, in dem er mit einem Mikrophon nach Geräuschen der Larven horcht. Oder der Nobelmann Filippo, der in seinem Anwesen wie die Karikatur eines modernen Prinzen thront, stets umgeben von der überkandidelten Aura der Neureichen. Und dann sind da Menschen wie Paolo, der mit seiner erwachsenen Tochter auf engstem Raum lebt und der uns durch seine kauzige Art umgehend ans Herz wächst.

Die kurzen Einblicke in das Leben seiner Protagonisten verbindet Gianfranco Rosi sehr subtil miteinander. Manchmal sind wir uns nicht sicher, ob es vielleicht nur Zufall ist, dass die Frau des Aalfischers Cesare eine Foto-Lovestory liest, kurz nach dem wir gesehen haben, wie Gaetano für eine solche posiert. Die Zusammenstellung der einzelnen Sequenzen wirkt beliebig und doch wohl komponiert. Unterhaltsames folgt auf Anrührendes, ruhige Momente auf belebte Szenen. So gelingt es Rosi ganz ohne Narration eine andere Art von Spannungsbogen zu kreieren, der uns souverän an die Ereignisse fesselt. Das andere Rom wird niemals langweilig. Zu sympathisch sind die Figuren, zu interessant ihre verschiedenen Lebensumstände. Und trotz der Kürze der einzelnen Portraits haben wir niemals das Gefühl, uns würde etwas vorenthalten. Es gibt keine offenen Fragen, keine Unklarheiten. Rosi stellt seine Szenen so selbstbewusst zusammen, dass wir niemals an ihrer Auswahl zweifeln.

Das hervorstechendste Merkmal des Films ist jedoch seine Authentizität. Zu keinem Zeitpunkt wirken die Ereignisse konstruiert. Vielmehr drängt sich die Frage auf, wie es Gianfranco Rosi gelungen ist, eine derartige Vielzahl an interessanten Protagonisten, an unvergleichlichen Typen für seinen Film zu finden und wie es ihm gelungen ist, dass all die scheinbar beliebigen Kurzepisoden einen ganz eigenen Zauber entfalten.

Die starke Wirkung von Das andere Rom ist in Anbetracht der zurückhaltenden Inszenierung faszinierend. Kleine Geschichten werden groß, unsichtbare Menschen sichtbar und wir wollen gar nicht aufhören, dabei zuzusehen.

Das andere Rom

Die „Autostrada del Grande Raccordo Anulare“ ist die Ringautobahn, die die italienische Hauptstadt umkreist und von den Einwohnern nur als „GRA“ bezeichnet wird. Der offizielle Name A90 hat sich niemals durchgesetzt. Dieser Umstand deutet schon daraufhin, dass die GRA mehr ist als nur eine Autobahn. Sie scheint neben ihrer praktischen noch eine andere Bedeutung zu haben. Vielleicht eine symbolische?!
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