Grace of Monaco

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Royale Rollenspiele oder: Wie aus Gracy Gracia Patricia wurde

Europa in den 1950er Jahren: Ganz Gallien ist von Franzosen besetzt. Ganz Gallien? Nein, ein kleines Nest an der Küste der Côte d’Azur leistet erbittert Widerstand gegen den mächtigen General, der in Paris begehrliche Blicke auf das Juwel an der Mittelmeerküste geworfen hat, um damit seinen kostspieligen Krieg gegen die aufmüpfige Kolonie in Algerien zu finanzieren. Das klingt irgendwie bekannt und erinnert den einen oder anderen an die Abenteuer von Asterix? Das stimmt fast – nur dass es im Falle von Olivier Dahans Grace of Monaco eben nicht die Freunde des kleinen und gallischen Kriegers sind, die den Kampf gegen den übermächtigen Goliath aufgenommen haben, sondern eine schöne Frau, die in ihre neue Rolle erst noch hineinwachsen muss.
Der Film beginnt mit einer Illusion: In dieser sieht man Grace Kelly (Nicole Kidman) in ihrer letzten Rolle in Die oberen Zehntausend, bevor sie Hollywood und die USA verlässt, um Fürst Rainier III. (Tim Roth) zu ehelichen – eine Traumhochzeit, ein Märchen, das die Regenbogenpresse und das lesende Publikum begeistert. Der früheren Schauspielerin ist durchaus bewusst, wie sehr sie den Traum lebt, von dem damals (und vielleicht auch heute noch) viele Mädchen und junge Frauen träumten – einen echten Prinzen zu heiraten, in einem Schloss hoch über der Küste des türkis schimmernden Mittelmeeres zu leben und nie wieder Sorgen zu haben.

Nach einem Zeitsprung ins Jahr 1961 zeigt sich aber, dass der Traum der Realität nicht standhält. Eingezwängt in das strenge Reglement des höfischen Protokolls fühlt sich Grace nicht wohl in Monaco. Ihre freimütige Art, ihre Gedanken ohne groß zu überlegen zu äußern, stößt im Hofstaat auf wenig Gegenliebe, bei den Monegassen wird die Hollywood-Schönheit nicht als eine der ihren angesehen. Zudem ziehen dunkle Wolken am strahlenden Horizont des Fürstentums auf. Weil der Krieg in Algerien eine Menge kostet, hat der französische Präsident Charles de Gaulle beschlossen, die Privilegien des kleinen Fürstentums nicht länger zu dulden – schließlich zahlen Unternehmen, die ihren Sitz aus dem Stammland nach Monaco verlegen, keine Steuern. Und genau das sind die Einnahmen, die dem französischen Staat nun fehlen. Mit Intrigen, geheimen Verbindungen in den Palast der Grimaldis und schließlich unverhohlenem Druck gerät das Fürstentum an den Rand des Ruins und droht seine Souveränität zu verlieren. Und es ist ausgerechnet die bis dato unbeliebte Fürstin, die ihre Selbstzweifel überwinden und endlich in die ihr zugedachte Rolle hineinwachsen muss, um Monaco zu retten.

Grace of Monaco begibt sich auf schwieriges Terrain: Einerseits bezieht sich der Film auf tatsächlich geschehene historische Begebenheiten, andererseits erlaubt sich Grace of Monaco eine ganze Reihe von Freiheiten, die zum großen Teil so daherkommen, als seien sie den mitunter recht freimütigen Erfindungen der Klatschpresse übernommen, mit denen diese Woche für Woche ein überwiegend älteres weibliches Publikum in Atem hält, indem die ganz realen Dramen der royalen Promis mit allen Mitteln der Fiktion auf Basis der Realität niedergeschrieben werden. Im Prinzip verfolgt Grace of Monaco eine ganz ähnliche Strategie und setzt damit den Boulevard auf der großen Leinwand fort: Tränenreich, mit großen Gefühlen und bombastischer Musik wird hier die gesamte Klaviatur der Emotionen heruntergespielt: Die (natürlich ganz große) Liebe, Verzicht, Bestimmung, Pflichterfüllung und die Verlockungen der großen (Film)Welt, dies sind die Pole, zwischen denen sich Grace zurecht- und selbstfinden muss. Und es passt ins Weltbild des Boulevards, dass sie erst dann wahre Erfüllung und inneren Frieden findet, wenn sie ihre eigenen Bedürfnisse hintanstellt und in einer bewegenden Rede nicht nur ihr kleines Volk, sondern auch Charles de Gaulle auf ihre Seite zu bringen weiß.

In gewisser Weise spiegeln sich die Schwierigkeiten von Grace, ihre Rolle zu finden und sie mit Überzeugung und aus vollstem Herzen auszufüllen, auch in Nicole Kidmans Performance wider: Viel zu selten sind die Momente, in denen sich das imaginierte Gesicht Grace Kellys tatsächlich über das Antlitz von Nicole Kidman legt, in denen der alte Zauber des Kinos, das Verschmelzen einer Schauspielerin mit ihrer Rolle bis zur vollkommenen Mimikry tatsächlich funktioniert. Doch unter dem Strich sind diese (durchaus wortwörtlich zu verstehenden) Augenblicke rar und können die unübersehbaren Schwächen des Films nicht aufwiegen. Dahan packt viel hinein in seinen Film: ein wenig Filmgeschichte hier, etwas Zeitgeschichte da, dazwischen blitzen Melodram, Selbstfindung, Reflektionen über das Wesen des Schauspiels und dann sogar fast so etwas wie eine Agentengeschichte und schlussendlich sogar Satire (oder eher Farce) kurz auf, um anschließend im Rausch der Dekors und der sentimentalen bis klebrigen Musik zu verschwinden.

Beinahe humoristisch geraten (wenngleich genau das wahrscheinlich nicht beabsichtigt gewesen sein dürfte) sind die Auftritte von Roger Ashton-Griffith als Alfred Hitchcock und André Penvern als Charles de Gaulle, die immerhin für einige Schmunzler sorgen. Allerdings fragt man sich schon ein wenig, warum die Grimaldis so schmollen, dass sie dem Film ihren Besuch versagten, wo doch die Gaullisten in Frankreich wesentlich mehr Grund gehabt hätten, gegen die Darstellung Sturm zu laufen.

In Deutschland hingegen darf man konstatieren, dass Grace of Monaco wohl vor allem die ältere Leserinnenschaft von Blättern wie Bunte und Gala ins Kino locken wird – falls überhaupt. Und die dürften in der Mär von Verzicht, Pflichterfüllung und einer märchenhaften Liebe durchaus ihre Freude haben. Der Rest hingegen dürfte sich von diesem royalen Rollenspiel-Kitsch eher mit Grausen abwenden.

„The idea of my life as a fairy tale is itself a fairy tale“, dieses Zitat Grace Kellys, das als eine Art Motto dem Film vorangestellt ist, erhält eine zusätzliche Wendung, indem offensichtlich auch Olivier Dahan dem unbestreitbar Märchenhaften seiner Geschichte und ihrer Implikationen auf den Leim gegangen ist. Die vermeintliche Enthüllung und Demaskierung des Fiktionalen im Leben der Grace Kelly oder Gracia Patricia ist selbst nichts anderes als reine Fiktion und kitschiges Kinomärchen, an dessen Ende ein mehr als schaler Nachgeschmack bleibt.

Grace of Monaco

Europa in den 1950er Jahren: Ganz Gallien ist von Franzosen besetzt. Ganz Gallien? Nein, ein kleines Nest an der Küste der Côte d’Azur leistet erbittert Widerstand gegen den mächtigen General, der in Paris begehrliche Blicke auf das Juwel an der Mittelmeerküste geworfen hat, um damit seinen kostspieligen Krieg gegen die aufmüpfige Kolonie in Algerien zu finanzieren.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen