Lifelong

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Zweisam im Käfig

„Wir leben nicht zusammen, wir bewohnen nur denselben Käfig“, stellt die Protagonistin Maggie im Tennessee-Williams-Stück Die Katze auf dem heißen Blechdach in Bezug auf ihre Ehe mit dem Alkoholiker Brick fest. In Lifelong — Hayatboyu, dem neuen Werk der türkischen Filmemacherin Asli Özge, könnte die bildende Künstlerin Ela (Defne Halman) Ähnliches über ihr Leben mit (oder vielmehr neben) ihrem Gatten, dem Architekten Can (Hakan Çimenser), sagen.
Ela und Can sind ein gut situiertes Ehepaar im fortgeschrittenen Alter; sie haben eine erwachsene Tochter, die fernab der Heimatstadt Istanbul wohnt und studiert. Der gemeinsame Alltag zu zweit ist von Leidenschaftslosigkeit und gegenseitigem Schweigen bestimmt. Als in Ela die Vermutung aufsteigt, dass Can eine Affäre hat, scheint sich plötzlich ihre gesundheitliche Verfassung zu verschlechtern.

Während sich Özge in ihrem Vorgängerwerk Men on the Bridge (2010) den prekären Lebensverhältnissen dreier junger Männer in Istanbul widmete, befasst sich die Regisseurin, Autorin und Cutterin diesmal mit Figuren, die einem wohlhabenden, intellektuellen Milieu angehören — die in einem mehrstöckigen Designerhaus (beziehungsweise -käfig) mit eiserner Wendeltreppe wohnen, Kunstausstellungen besuchen und sich mit Freunden in schicken Etablissements treffen, jedoch keineswegs glücklich sind.

Würde es sich hier um eine US-amerikanische Produktion im Stile von American Beauty handeln, würde wohl mindestens einer der Charaktere im Laufe des Geschehens die Fassung verlieren, dass die Drinks nur so flögen. In Lifelong wird indes keinem der Protagonisten solch ein kathartischer Moment zugestanden. Von einem einzigen vergleichsweise stürmischen (Wieder-) Annäherungsversuch im Zuge eines kurzen Weinkrampfes abgesehen, gehen Ela und Can irritierend passiv-aggressiv miteinander um. Statt die Konfrontation mit ihrem (womöglich) untreuen Mann zu suchen, äußert Ela ihren Verdacht en passant durch eine Reihe von spitzen Bemerkungen — und Can ignoriert diese Spitzen weitgehend, gibt seiner Frau durch einen konsequenten Mangel an Aufmerksamkeit aber immer wieder Anlass dazu, ihr Misstrauen zu wahren und ihre Verhaltensweise fortzusetzen.

Die dialogarmen Szenen einer Ehe, in denen das Paar schweigend nebeneinandersteht/-sitzt/-liegt oder in denen die Konversation schon nach wenigen Sätzen erstirbt, sind zuweilen gewiss spröde. Allerdings ist dieses Werk über Entfremdung und Vereinsamung auch ein Exempel für große Schauspielkunst: Das innere Drama, das sich von Defne Halmans Gesicht mit den erschlafften Zügen und den müden Augen ablesen lässt, ist eindringlicher als das äußere Drama in vielen anderen Filmen. Überdies versteht Özge es vortrefflich, unterkühlt und steril wirkende Räume zu gestalten, welche in voyeuristisch anmutenden Aufnahmen eingefangen werden. Die Käfige der Figuren bestehen hier zum Großteil aus Glas; und selbst wenn versucht wird, aus diesen auszubrechen, bleibt als undurchdringlichster Käfig – wie schon Arcade Fire wussten – immer noch der eigene Körper.

Lifelong

„Wir leben nicht zusammen, wir bewohnen nur denselben Käfig“, stellt die Protagonistin Maggie im Tennessee-Williams-Stück „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ in Bezug auf ihre Ehe mit dem Alkoholiker Brick fest. In „Lifelong — Hayatboyu“, dem neuen Werk der türkischen Filmemacherin Asli Özge, könnte die bildende Künstlerin Ela (Defne Halman) Ähnliches über ihr Leben mit (oder vielmehr neben) ihrem Gatten, dem Architekten Can (Hakan Çimenser), sagen.
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