Concerning Violence

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Collagen des Kolonialismus

Die einzigartige Macht des Films ist die der Bilder: Sprichwörtlich tausend Wörter kann ein einzelnes von ihnen Wert sein. Oft vermitteln sie Emotionen und Ideen unmittelbarer und ungefilterter. Göran Olssons Concerning Violence nimmt sich das zu Herzen, und versucht sich an einer Bebilderung von Frantz Fanons 1961 erschienenem Hauptwerk Die Verdammten dieser Erde. Wenige Wochen vor dem Tod des auf der Karibikinsel Martinique geborenen Autors und Aktivisten fertiggestellt, fasst das Buch auf eindringliche Weise seine Ideen und politischen Analysen zum Kampf gegen Kolonialismus und Imperialismus zusammen. Der Dokumentarfilm wurde 2014 im Panorama der Berlinale gezeigt und beschäftigt sich mit der afrikanischen Befreiungsbewegung der 1960er und 1970er Jahre – der Film macht da weiter, wo der Aktivist aufhören musste. (Bereits 2011 war der Regisseur mit The Black Power Mixtape 1967-1975 über die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung im Panorama-Programm zu sehen.)
Fanon liefert also die Worte, mit Nachdruck werden diese vorgetragen von der US-amerikanischen Schauspielerin und Sängerin Lauryn Hill. Olsson liefert die Bilder. In neun Kapiteln werden, so der Untertitel des Films, „Szenen der anti-imperialistischen Selbstverteidigung“ aufgezeigt. Mit zunächst disparat erscheinenden Dokumentaraufnahmen aus aller Welt entsteht so nach und nach eine Collage des Kolonialismus.

Von der ersten Einstellung des Films an ist klar, in welcher Konstellation Fanon und Olsson die Welt sehen. Von Bildern eines kleinen schwarzen Kindes, das die Schuhe eines Weißen putzt, wird auf Soldaten geschnitten, die gerade Kühe jagen. Fanon (bzw. Hill) erklärt dazu aus dem Off: „Colonialism is not a thinking machine, nor a body endowed with reasoning faculties.“ Der Kolonialisierte ist für seinen Meister wenig mehr als Schlachtvieh, Verhandlungen und Vernunftappell stoßen auf taube Ohren. Sowohl sozioökonomisch, als auch rein physisch, argumentiert der Film, ist Kolonialismus mit Gewalt gleichzusetzen.

Die einzige Reaktion hierauf kann laut Fanon nur Gegengewalt sein. Etwa in Form der MPLA in Angola, die im ersten Kapitel gezeigt wird. Anhand eines Manövers der zentralen Befreiungsbewegungen gegen die portugiesische Vorherrschaft zeigt uns Olsson, wie er sich die Theorien Fanons in der Praxis vorstellt. Der Film versteht sich als cineastischer Aufruf zum Aktivismus und vertritt eine klare Meinung. Hier gibt es keine vorgeschobene Ambiguität oder Appeasement für das europäisch-amerikanische Publikum. Denn dieses habe, so der Titel des zweiten Kapitels, jahrzehntelang nur Gleichgültigkeit („Indifference“) walten lassen.

Concerning Violence arbeitet hier dialektisch: Interviewausschnitte des in Zimbabwe (bzw. Rhodesien) inhaftierten Professors Tonderai Makoni, in denen von Foltermord und Versklavung gesprochen wird, kontrastiert Olsson mit glücklichen Boulespielern und in ihren Pools plantschenden weißen Siedlern. Im direkten Kampf erleben wir die Kolonialisten hier ohnehin selten: Der Kolonialismus erscheint hier mehr als eine (Omni)Präsenz. Wir sehen lediglich seine Auswirkungen, seine Folgen, das Leiden, das aus ihm erwächst.

Und das ist mannigfaltig: Dargestellt wird die Trennung zwischen weißen Städten und autochthonen Ghettos. Anhand einem in Liberia niedergeschlagenen Minenstreik, aufgezeichnet von einem schwedischen Fernsehteam, wird die Ausnutzung der Afrikaner in der Arbeitswelt aufgezeigt. Im Kapitel „The Poverty of Spirit“ (Die Armut des Geistes) sehen wir Missionare aus Tanzania, die Einheimische zum Bau einer christlichen Kirche zwingen.

Dabei wird am Ende klar, dass auch die Schuldigen und ihre Nachfahren sich beteiligen können an dem Versuch, „die Menschheit der Erde auf ein Neues vorzustellen“. Dankbarkeit müssen sie für diese von Fanon als Reperationszahlung verstandene Geste jedoch nicht verlangen. Zu den Worten fährt die Kamera durch Reihen hungernder Kinder, als wäre man in einem Miserior-Werbespot. Nur dass es hier mit diesem Ablasshandel nicht getan ist.

An die afrikanischen Zuschauer richtet sich der Film mit dem Hinweis, nicht einfach Europa zu imitieren. Stattdessen, so intendiert es der Film, müssen neue Wege und in letzter Konsequenz sogar ein neuer Mensch ge- und erfunden werden. Concerning Violence ist konsequent und dürfte gerade in seiner Unterstützung von Gewalt als probates Mittel der Dekolonialisierung viele (westliche) Zuschauer verstören. Aber was würde ein weiteres Werk nützen, das sich auf Allgemeinplätze wie Verständigung und Ausgleich verlässt? Alles darf gedacht werden. Selbst wer sich hier auf der falschen Seite der Konfliktlinie wiederfindet, nimmt viel aus den etwa anderthalb Stunden mit.

Bei all dem politischen Mut und der bewundernswerten Radikalität besitzt Concerning Violence jedoch auch einige unübersehbare Schwächen. Am meisten hat der Film mit dem universellen Charakter von politischen und philosophischen Ideen zu kämpfen: Was Fanon geschrieben hat, bedarf zuerst einmal keiner Spezifizierung durch Filmbilder, bedarf keiner ironisch eingesetzten Ton-Bild-Schere und vor allem keiner emotionalisierenden Musik. Manche formelle Entscheidungen sind zu plakativ und eindeutig, selbst für einen Film. Dem Anspruch, ein Shoah des Kolonialismus zu sein, wird die Doku dadurch leider nicht zur Gänze gerecht.

In einem Europa, das immer noch mit einer Mischung von vordergründiger Bestürzung und innerer Gleichgültigkeit auf die wöchentlichen Schreckensmeldungen über vor Lampedusa ertrunkenen Flüchtlingen reagiert, ist Fanons Werk heute genau so aktuell wie bei seiner Entstehung vor über 50 Jahren. Concerning Violence ist Teil eines notwendigen Korrektives gegenüber Hollywood. Die Traumschmiede nimmt sich, auf der Suche nach neuen Geschichten, in den letzten Jahren verstärkt Afrika als Schauplatz an. Doch diese Versuche sind oft eher gut gemeint als gut gemacht. Da treten dann Weiße in die Rolle des Erretters (Leonardo DiCaprio in Blood Diamond), das Ganze wird zum rührseligen Melodrama über „edle Wilde“ (Der Erstklässler) oder der Blick bleibt ein rein touristischer, der sich nur an der Exotik der Schauplätze erfreut. Fanon sagt dazu: „The settler makes history, his life is an epic, an odyssee.“ Concerning Violence hingegen ist kein Epos, sondern wirft lediglich ein Schlaglicht auf die dunklen Seiten des Kolonialismus. Man kann nur hoffen, dass die Scheinwerfer noch folgen.

Concerning Violence

Die einzigartige Macht des Films ist die der Bilder: Jedes einzelne von ihnen kann, sofern sie richtig eingesetzt sind, Tausende von Wörtern ersetzen, oft vermitteln sie Emotionen und Ideen viel unmittelbarer und ungefilterter. Göran Olssons „Concerning Violence“ nimmt sich das zu Herzen, und versucht sich an einer Bebilderung von Frantz Fanons 1961 erschienenem Hauptwerk „Die Verdammten dieser Erde“.
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