Dieses schöne Scheißleben

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Außer Kontrolle in Mexiko

Doris Dörrie goes Mexiko. Dass es dabei thematisch um Frauen gehen wird, ist gesetzt, dass sie in die dortige exotische Folklore eintaucht, ebenso. Dass dieser Dokumentarfilm argumentativ unausgewogen und strukturell aus dem Ruder ist — auch das ist leider Standard im Dörrie-Œuvre.
Wobei man auch sagen muss: Gegenüber ihren Spielfilmen, die von einem unzusammenhängenden Mischmasch aus pseudophilosophisch-essayistischer Botschaft, konstruierter Handlung, überkandideltem Dekor und eingestreuten persönlichen Obsessionen (Japan!) beherrscht werden, ist Dieses schöne Scheißleben, vielleicht, weil Doris Dörrie bei diesem Dokumentarfilm per definitionem nicht die volle Kontrolle über das Geschehen hat, über einige Strecken sogar erträglich.

Dörrie begleitet Mariacha-Sängerinnen in Mexico City, die rund um den Plaza Garibaldi versuchen, innerhalb der männlichen Mariachi-Tradition ihren künstlerischen Weg zu gehen. Eine Sängerin, alleinerziehend, lässt allabendlich ihre Tochter bei ihrer Mutter, um auf dem Plaza mit Inbrunst zu singen; eine geschlechtsgemischte Truppe hat Gigs bei Geburtstagen und Beerdigungen; eine Band alter Ladies sind die Pioniere weiblicher Mariachi-Musik und werden als solche überall geehrt.

Man erhält Einblicke in die Probleme, Familie und Beruf zu vereinen, denn, so eine der Sängerinnen, während die männlichen Musiker ganz für ihre Kunst leben, müssten sich die weiblichen zuhause in Hausfrauen zurücktransformieren. Ja, das ist natürlich ein Problem — eines der Gesellschaft überhaupt, zumal der mexikanischen, und die Frage ist, ob für diese Aussage das Mariacha-Wesen wirklich geeignet ist, wenn die Geschlechterrollen überhaupt und sowieso festgelegt sind.

Man erhält auch Einblicke in das Wesen der Kunst: Wenn sie sich abends fertigmache, mit Schminke und Uniform, dann verwandle sie sich; sie vergesse sogar ihre Tochter, um ganz und gar in ihren Gesang einzutauchen, so die Alleinerziehende. Und dass das Singen, die Musik überhaupt, viel mehr Berufung als Beruf ist, wird auch dem Ehemann einer anderen Mariacha klar. Ja: So ist das eben bei Künstlern! Originell, oder spezifisch, oder gehaltvoll ist diese Message halt auch nicht.

Freilich sind diese eher banalen thematischen Ausdrücke nicht wirklich störend — eine Menge Dokus, zumal solche mit Argumentation und Aussage, treffen nicht immer ganz den Punkt, oder sie blicken mal auf dies und jenes außerhalb des eigentlichen Themas. Problematisch ist, dass Dörrie eine erfahrene Filmveteranin ist; und dass sie an der Münchner HFF als Professorin dem Filmnachwuchs das Handwerk beizubringen versucht. Und sich dabei in ihrem eigenen Film verzettelt, als sei sie völlig überwältigt von dem, was sie in Mexiko erfahren hat, was ihr dort widerfahren ist. „She got carried away“, würde man im Englischen sagen: Sie hat sich fortreißen lassen: und weiß dann nicht mehr, wie sie aus ihrem Inhalt etwas wirklich Interessantes herausschälen könnte.

Zu diesem Problemkontext gehört auch, dass das, was interessant hätte sein können, gar nicht angesprochen wird. Wie fühlen sich denn die männlichen Mariachi auf dem Plaza Garibaldi, wenn Frauen in ihre Bastion einbrechen? Wie ist es für die Musiker, wenn sie nun für eine weibliche Sängerin statt eines Macho-Sängers spielen? Und wieso wollte dieser eine Manager unbedingt eine Band haben mit meist weiblichen Musikern?

Immerhin hält Dörrie ein Thema durch: Die Tradition der Musik, der sich die Musiker wie die Musikerinnen verpflichtet fühlen. Eine Musik, die ihnen schon in der Kindheit in die DNS eingebaut wurde und der sie ihr Leben weihen. Lieder von Leben, Lieben, Schicksal und Tod, mit Inbrunst vorgetragen: Da finden sich doch ein paar Einblicke in die mexikanische Volkskunst.

Freilich: In der letzten halben Stunde gerät der Film vollends ins Trudeln. Da baut Dörrie mehr und mehr diese seltsamen weiblichen bunten Clowns ein, die anscheinend vor allem Werbezettel auf dem Plaza verteilen, die Dörrie aber offenkundig total schnafte fand (vielleicht bedauert sie, nicht von Anfang an über dieses Thema gedreht zu haben?) Und: Dörrie ergibt sich vollends der Folklore und zeigt ewig lang das Standard-Klischee: Kein ausländischer Film, der in Mexiko spielt, lässt das Totenfest aus, wo Santa Muerte angebetet wird mit Skeletten in diversen Formen. So exzessiv wie hier aber hat man dies selten gesehen; und es nervt, weil es nichts mit dem Film, den Dörrie bis hierhin gezeigt hat, zu tun hat.

Der Film wirkt im Ganzen ungefähr so, als würde ein mexikanischer Filmemacher in Deutschland über Männer drehen, die in bayrische Landfrauenvereine eintreten; um dies dann fallen zu lassen und ins, sagen wir mal, Oktoberfest umzuschalten.

Dieses schöne Scheißleben

Doris Dörrie goes Mexiko. Dass es dabei thematisch um Frauen gehen wird, ist gesetzt, dass sie in die dortige exotische Folklore eintaucht, ebenso. Dass dieser Dokumentarfilm argumentativ unausgewogen und strukturell aus dem Ruder ist — auch das ist leider Standard im Dörrie-Œuvre.
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Meinungen

Ludwig Meier · 24.10.2014

"Dieses schöne Scheißleben" ist ein Film mit Seele! Doris Dörre zeichnet ein wunderschönes Kaleidoskop der Gefühle und lässt ihren Protagonisten die Zeit und den Raum die sie verdienen, absolut sehenswert!!!
Der Autor dieses Artikel sollte sich überlegen ob er nicht besser in der Autoindustrie sein Glück findet, da kann er sich voll und ganz dem Ingenieurwesen und allem messbaren wie z.B. das Knarzen der Sitze widmen. Private Hasstiraden wie diese Filmkritik sollte der doch lieber mit seinem Psychiater teilen!

@Daniel Schönauer · 22.10.2014

Danke für den Hinweis. Ist korrigiert. Grüsse, Mike

Daniel Schönauer · 22.10.2014

Der Name des Kameramanns ist übrigens Daniel Schönauer.