Das Verschwinden der Eleanor Rigby

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Look at all the lonely people

Ein Paar sitzt zusammen in einem schönen kleinen Restaurant. Er gesteht, dass er die Rechnung nicht bezahlen kann, sie schlägt daraufhin vor, einfach abzuhauen – nacheinander, damit es nicht auffällt. Sie geht zuerst, er will ihr folgen, aber der Kellner bemerkt, was sie vorhaben. Also laufen sie lachend davon und landen in einem Park. Sie knutschen und auf einmal steigen Glühwürmchen in ihrer Nähe auf. Es sind diese Bilder der unbeschwerten Liebe von Eleanor (Jessica Chastain) und Connor (James McAvoy), mit denen Das Verschwinden der Eleanor Rigby von Ned Benson beginnt. Doch schon die nächste Sequenz belehrt den Zuschauer eines Besseren: Eleanor fährt mit einem Fahrrad auf einer Brücke. Sie hält an, klettert über den Zaun, und der Reaktion eines entsetzten Passanten ist zu entnehmen, dass sie gesprungen ist. Nachdem sie aus dem Wasser gezogen wird, landet sie im Krankenhaus. Ihr Mann Connor kommt zu Besuch, abgeholt wird sie jedoch von ihrer Schwester Katy (Jess Weixler), die Eleanor zu ihren Eltern (Isabelle Huppert, William Hurt) bringt. Eleanor will nicht mehr zurück zu ihrem Mann und in ihr altes Leben, sie verschwindet einfach daraus.
Nur langsam enthüllt der Film die Gründe für Eleanors Verschwinden, so dass nach und nach das Bild einer großen Liebe entsteht, die an einer Tragödie zu scheitern droht. Von Anfang an hatte Regisseur und Drehbuchautor Ned Benson dabei seinen Debütfilm Das Verschwinden der Eleanor Rigby differenziert angelegt: Es gibt zwei Teile, zwei Versionen mit den Untertiteln Him und Her, in denen die Ereignisse aus Sicht von Connor und Eleanor erzählt werden, außerdem einen dritten Teil Them, in denen die Perspektiven zwischen ihnen wechseln. Im Kino startet nun diese letzte Version.

Diese Konzeption lässt bereits deutlich Ned Bensons Anliegen erkennen: Er will zeigen, dass es in einer Beziehung immer mehrere Seiten gibt und Ereignisse verschieden wahrgenommen werden. So steht Connor anfangs dem Verhalten seiner Frau verzweifelt gegenüber, er kann nicht verstehen, dass sie einfach aus seinem Leben verschwindet. Für Eleanor gibt es hingegen keinen anderen Ausweg – und es liegt nicht daran, dass Connor etwas getan oder gesagt hätte, sondern dass er mit der Tragödie, die sie erlebt haben, gänzlich anders umgeht. Einmal sagt Eleanor zu ihm, dass es sich für sie anfühle als seien sie im gleichen Raum, jedoch kilometerweit voneinander entfernt. Und damit bringt sie gut zum Ausdruck, dass sie zwar eine gemeinsame Geschichte haben, sie aber letztlich jeder anders erlebt.

Allein durch diese Prämisse erscheint Das Verschwinden der Eleanor Rigby als ein erwachsener Film über eine Liebe, deshalb erzählt Ned Benson auch nicht von dem Schicksalsschlag, sondern dem Umgang mit ihm. Dennoch entsteht im Verlauf des Films der Wunsch, die beiden Teile zu sehen, die aus ihrer und seiner Sicht erzählt werden. Denn die Charaktere kommen einem nicht näher, sondern verbleiben an der Oberfläche: James McAvoy als trauriger, verlassener Ehemann, der beginnt, seiner Frau hinterherzulaufen, ist charmant und auch liebenswert. Abgesehen von seiner Liebe zu Eleanor erscheint er aber ein leicht verwöhnter Sohn mit Vaterproblemen zu sein, da er dessen erfolgreichem Restaurant eine eher konventionelle Kneipe entgegensetzt. Der Vater wird von Ciarán Hinds gespielt, und man erwartet förmlich einen Ausbruch dieser Schwierigkeiten, aber letztlich einigen sie sich bei einem Whisky darauf, dass sie sich zu ähnlich sind. Hierin steckt so viel mehr, für das es aber keinen Raum in diesem Film gibt.

Jessica Chastain ist tatsächlich unwiderstehlich als Eleanor – benannt nach dem Beatles-Song – jedoch verbleibt sie in ihrer Rätselhaftigkeit. Sie zieht wieder zu ihren Eltern nach Westport, ihre Mutter ist eine Französin, die einst ihre Musikkarriere für ihre Kinder aufgab und schon morgens Wein trinkt, ihr Vater ein Psychiater und Professor, der allzu lautlos um seine Tochter herumschleicht. Ohnehin nehmen alle ständig Rücksicht auf sie und teilen schöne, mitunter bedeutungsschwangere Sätze mit ihr. Für einen zweistündigen Film ist das jedoch nicht ergiebig genug. Allein Eleanors Freundschaft mit ihrer Professorin (großartig: Viola Davis) vermag aus diesem Schema der Rücksichtnahme auszubrechen und eine andere Seite von Eleanor zu zeigen.

Die Auflösung dieser Ehe wird daher vor allem durch melancholische Kamerafahrten deutlich, die Connors und auch Eleanors Wanderungen durch New York folgen. Diesen Bildern – und den Schauspielern – ist es zu verdanken, dass man als Zuschauer gerne Zeit mit den Charakteren verbringt. Jedoch hofft man sehr lange vergeblich darauf, dass unter dieser Oberfläche noch etwas lauert. Dafür muss man wohl Her oder Him sehen.

Das Verschwinden der Eleanor Rigby

Ein Paar sitzt zusammen in einem schönen kleinen Restaurant. Er gesteht, dass er die Rechnung nicht bezahlen kann, sie schlägt daraufhin vor, einfach abzuhauen – nacheinander, damit es nicht auffällt. Sie geht zuerst, er will ihr folgen, aber der Kellner bemerkt, was sie vorhaben. Also laufen sie lachend davon und landen in einem Park. Sie knutschen und auf einmal steigen Glühwürmchen in ihrer Nähe auf. Es sind diese Bilder der unbeschwerten Liebe von Eleanor (Jessica Chastain) und Connor (James McAvoy), mit denen „Das Verschwinden der Eleanor Rigby“ von Ned Benson beginnt.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen