Hirngespinster (2014)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Diagnose: Schizophrenie

Es gibt Filme, die machen nichts falsch und wirken trotzdem nicht richtig. Das ist freilich in der eher verhaltenen Gesamtschau auf die deutsche Kinoreihe des Filmfests München erst einmal gar nicht so schlecht – wie viele der neuen deutschen Kinoproduktionen handwerkliche Fehler in der Konstruktion von Beziehungskonstellationen oder in der Figurenpsychologie machten! Psychologisch ist Hirngespinster jedenfalls stimmig. Und auch die Darsteller liefern eine sehr gute Leistung ab, allen voran Tobias Moretti als paranoid schizophrener Familienvater und Jonas Nay als sein Sohn zwischen Sorge und Qual.

Ja: Regisseur Christian Bach kann seine Schauspieler führen, das merkt man; denn sie liefern nicht nur, was er abruft, sondern bringen ihre Erfahrung und ihre Professionalität ein, um eben nicht bloß nachzuspielen – auch dies ein Makel an vielen anderen Filmen, zumal in Debüts. Bach weiß genau um das Handwerk, weiß die Kamera zu setzen, die richtige Musik einzuspielen, weiß um die Wirkung von Blicken, von Pausen, auch von Ausstattung und Szenenbild – Moretti spielt einen Architekten, und das moderne Betonhaus, in dem er und seine Familie wohnen, spiegelt auch seinen eigenen trotzigen, uneinsichtigen Kopf wider.

Insofern: Ja, man kann diesen Film ansehen, ohne sich zu ärgern. Und doch spürt man, wie etwas fehlt: Ein Moment der Überraschung vielleicht, etwas Unberechenbares, etwas Raues und Kantiges, das dem Film den letzten Schliff gegeben hätte – nämlich einen Schliff, der alles etwas weniger perfekt und vielleicht auch weniger seelenlos hätte wirken lassen. Erzählt wird aus der Perspektive von Simon, dem 23jährigen Sohn, der noch zuhause lebt und der seinem Vater helfen möchte – und zugleich fürchtet, die Schizo-Krankheit selbst geerbt zu haben. Der Film setzt ein mit einer Voice Over-Erzählung von Simon, die das alles gleich mal klarmacht – das ist ein kleines Problem, nämlich gegen Ende dann, wenn sich alles zuspitzt. Und wir von dieser Anfangs-Erzählstimme her schon wissen, dass nichts allzu Schlimmes geschehen wird.

Dass es sich zuspitzen wird – auch das ist von Beginn an klar, wenn Moretti als Hans misstrauisch-aggressiv auf die neue Satellitenschüssel der Nachbarn linst und sie des Nachts dann demoliert. Ein neuer Krankheitsschub, getriggert vermutlich vom beruflichen Stress einer Ausschreibung, die sein Comeback als Architekt einleiten soll – und befeuert natürlich durch seine Weigerung der Einsicht in die Krankheit, von seiner Verweigerung von Medikamenten und ärztlicher Hilfe. Und von den Versuchen der Familie, selbst klarzukommen, nach außen zu beschwichtigen und nach innen zu beruhigen.

So gibt es denn auch innerhalb der Vater-Mutter-Sohn-Tochter-Konstellation keinen Konflikt; nur emotionale Spannung, vor allem aber trotz allem eine große Liebe, die alles bestimmt. Hans ist nie gewalttätig gegen seine Familie, selbst, als er merkt, wie seine Frau ihm zerstoßene Tabletten ins Essen mischt, selbst, als er die Räume mit Goldfolie zutapeziert gegen die Satellitenstrahlung. Filmisch-dramaturgisch ist diese Einigkeit innerhalb der Familie Dallinger nicht sehr ergiebig, wenn sie vielleicht auch emotional nachvollziehbar ist bis zu einem gewissen Punkt. Vor allem aber hält diese Entscheidung einer Familieneinheit den Film klein: Klein von den Schauplätzen her, die er streift, klein auch von den Möglichkeiten des weiteren Handlungsverlaufs. Und klein vom Thema her, weil Hirngespinster eben nie über die Fallstudie einer bestimmten Krankheit hinausgeht. Klein wirkt der Film auch deshalb, weil sich Bach zu sehr bemüht, den Film zu weiten, und dies auf eine Weise, die ziemlich auffällig ist und damit die Absicht schon wieder konterkariert – mit einer kleinen Liebesgeschichte von Simon nämlich, die seitlich angepappt wird, um ihm einen Ausweg zu bieten. Deren Potential dann aber doch nicht ausgeschöpft wird: Verena, sein Mädchen, arbeitet zwar als Praktikantin im Krankenhaus, hat aber rein nichts mit der psychiatrischen Klinik zu tun, in die der Vater immer wieder eingewiesen wird – das scheint eine verschenkte Möglichkeit für weiteten dramatischen Input zu sein.

Hirngespinster handelt von Schizophrenie und damit einhergehender Paranoia, vom Umgang damit und der Unmöglichkeit des Kranken zu Einsicht und Akzeptanz. Das Problem dabei ist: Es könnte genauso gut um Alzheimer oder Alkohol, um Kopfkrebs oder den kranken Kanarienvogel gehen.
 

Hirngespinster (2014)

Es gibt Filme, die machen nichts falsch und wirken trotzdem nicht richtig. Das ist freilich in der eher verhaltenen Gesamtschau auf die deutsche Kinoreihe des Filmfests München erst einmal gar nicht so schlecht – wie viele der neuen deutschen Kinoproduktionen handwerkliche Fehler in der Konstruktion von Beziehungskonstellationen oder in der Figurenpsychologie machten!

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