Love Hotel

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Menschen im (Liebes-)Hotel

Sexuellen Handlungen, die nicht in den „eigenen vier Wänden“ stattfinden, haftet in unserer westlichen Gesellschaft gemeinhin etwas Anrüchiges an. Man assoziiert mit ihnen meist entweder Prostitution (im Bordell beziehungsweise „Freudenhaus“) oder schnelle, womöglich heimliche oder gar unmoralisch-ehebrecherische Triebbefriedigung – an Orten, für die sich denkbar hässliche Bezeichnungen wie „Stundenhotel“ oder „Absteige“ finden lassen. Die sogenannten „Love Hotels“ in Japan sind indes nicht nur Etablissements für käuflichen und/oder hastigen Sex; sie sind vor allem Refugien für Menschen aus sämtlichen sozialen Schichten.
Für seinen Dokumentarfilm Love Hotel hat der Brite Phil Cox gemeinsam mit seiner japanischen Co-Regisseurin Hikaru Toda Menschen begleitet, die das „Angelo Love Hotel“ in Osaka frequentieren oder dort ihrem Job nachgehen. Das Werk beginnt mit Aufnahmen japanischer Farbholzschnitte sowie Schrifteinblendungen, in denen das Phänomen „Love Hotel“ skizziert wird. So erfährt man etwa, dass diese Häuser bereits im mittelalterlichen Japan entstanden („weil es keinen Platz für die Begierde gab“) – und dass heute pro Tag circa 2,8 Millionen Japaner eines der rund 37.000 „Love Hotels“ im Land besuchen. Auch auf die Motive der Leute wird in Textform eingegangen – beispielsweise die Flucht aus kleinen Wohnungen. Die Vielfältigkeit der Beweggründe wird im Laufe des 75-Minüters anhand zahlreicher Protagonist_innen dargelegt.

Die Personen werden dem Publikum stets mittels Namens-, Alters- und Berufseinblendung vorgestellt; Cox und Toda zeigen sie sowohl aus beobachtender Perspektive als auch in Interview-Situationen – in den Zimmern des „Angelo Love Hotels“, zum Teil aber auch im urbanen Umfeld, am Arbeitsplatz oder in ihrem Zuhause. Dadurch wird Love Hotel zu einem Gesellschaftsporträt; die stärksten Momente des Films sind jedoch jene, die am titelgebenden Hauptschauplatz eingefangen werden. Es ist dem Regie-Duo dabei gelungen, die Einblicke in die Privatsphäre der Gäste zu keiner Sekunde aufdringlich-voyeuristisch wirken zu lassen. Selbst die abseitigsten Szenen, in denen ein 40-jähriger Geschäftsmann im Latex-Ganzkörperanzug von einer Domina gefesselt wird, haben keinerlei „Watching freaky people getting it on“-Anmutung.

Wenn Herr und Frau Sakamoto (er, 41, arbeitslos; sie, 43, Krankenpflegerin) erotische Rollenspiele ausprobieren, um die Leidenschaft in ihrer fast 25-jährigen Ehe wiederzuerlangen oder wenn der 71-jährige Herr Yamada, dessen Gattin keinen sexuellen Kontakt mehr wünscht, ein Zimmer mietet, um beim Ansehen pornografischer Filme über seinen Umgang mit Frauen zu reflektieren, hat das etwas sehr Anrührendes. Es ist zu spüren, dass Cox und Toda ein Vertrauensverhältnis zu ihren Protagonist_innen zu schaffen vermochten. Auch ein schwules Rechtsanwaltspaar (beide Mitte 30), das sich auf den Straßen Osakas nicht einmal umarmen, geschweige denn küssen kann, sowie eine junge Programmiererin, die sich den Rollenerwartungen des Landes (Heiraten, Kinderkriegen) nicht beugen möchte, gehören zu den gezeigten Personen und bereichern das dokumentarische Werk. Wie in einem episodisch erzählten Spielfilm (von Edmund Gouldings Menschen im Hotel bis hin zu vielen Robert-Altman-Arbeiten) werden die diversen Stränge elegant verwoben.

Interessant sind überdies die Blicke „hinter die Kulissen“ des „Angelo Love Hotels“ – in das Büro des Geschäftsführers oder in die Zentrale, in der zum Beispiel Rohrpost in die Zimmer verschickt wird. Durch Nachrichtenbeiträge wird vermittelt, dass die „Love Hotels“ auf Beschluss der Regierung hin umfangreiche Veränderungen vornehmen müssen, um einer endgültigen Schließung zu entgehen – so werden etwa die „Motto-Zimmer“ (darunter ein „Disco-Raum“ und ein „ägyptisches Zimmer“) verboten. Die Absurdität dieses Verbots offenbart sich, wenn man sieht, mit welcher Verspieltheit die Ausstattung dieser Räume von den Protagonist_innen des Films genutzt wird. Love Hotel ist ein feinfühliges Werk, das sein Thema ernst nimmt und zugleich voller Humor steckt.

Love Hotel

Sexuellen Handlungen, die nicht in den „eigenen vier Wänden“ stattfinden, haftet in unserer westlichen Gesellschaft gemeinhin etwas Anrüchiges an. Man assoziiert mit ihnen meist entweder Prostitution (im Bordell beziehungsweise „Freudenhaus“) oder schnelle, womöglich heimliche oder gar unmoralisch-ehebrecherische Triebbefriedigung – an Orten, für die sich denkbar hässliche Bezeichnungen wie „Stundenhotel“ oder „Absteige“ finden lassen.
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