Die große Illusion

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Feinsinniges Kriegsdrama von Jean Renoir

Deutschland zur Zeit des Ersten Weltkriegs: Nachdem der deutsche Major von Rauffenstein (Erich von Stroheim) ein französisches Jagdflugzeug abgeschossen hat, lässt er die beiden Insassen, den Offizier de Boeldieu (Pierre Fresnay) und den Lieutenant Maréchal (Jean Gabin), zunächst medizinisch versorgen und lädt sie dann zu einem „Gabelfrühstück“ mit seinem Stab ein, das von gegenseitiger Höflichkeit und ebensolchem Respekt der Kriegsgegner im Umgang miteinander geprägt ist. Bereits diese erste Szene von Die große Illusion des französischen Filmemachers Jean Renoir transportiert signifikant die Ausrichtung und Atmosphäre dieses legendären Kriegsdramas aus dem Jahre 1937, das jenseits von Schlachten und anderen direkten Kriegsschauplätzen die Geschichte von Krieg, Gefangenschaft und Humanismus erzählt, der hier gerade im Zusammenhang mit seiner großen allgemeinen Entwürdigung im Krieg als übergeordnete menschliche Grundkonstante abgebildet wird.
In einem Gefangenenlager für Offiziere finden sich de Boeldieu und Maréchal wieder, wo sie gemeinsam mit dem kauzigen jüdischen Offizier Rosenthal (Marcel Dalio) untergebracht werden, der seine Zimmerkameraden mit köstlichen Kulinarien aus Paketen von seiner Familie versorgt und sich mit der Inszenierung einer sangeskräftigen Komödie um das kulturelle Klima im Lager verdient macht. So leger sich die Stimmung bei den französischen Gefangenen sowie zu den Deutschen augenscheinlich auch gestaltet, gräbt doch Rosenthal mit seinen Gefährten insgeheim an einem Tunnel in die Freiheit. Die Aufführung von Rosenthals Stück wird von der Nachricht des Vorrückens der Franzosen unterbrochen, und da Maréchal zu diesem Anlass euphorisch die Marseillaise anstimmt, wird er in strikte Einzelhaft gesperrt, was ihn beinahe den Verstand kostet und nur durch das Mitgefühl eines Wärters gemildert wird, der dem verzweifelten Lieutenant zum Trost eine Mundharmonika und ein paar Zigaretten schenkt – eine weitere Geste jener spontanen Menschlichkeit, die diesen Film zu einem ganz besonderen geraten lässt.

Kurz nachdem Maréchal wieder in die Gemeinschaft der Gefangenen zurückkehrt, werden die Offiziere in ein anderes Lager überführt, das mittlerweile unter der Leitung von Major von Rauffenstein steht, der sich freut, vor allem de Boeldieu wiederzubegegnen, den er als gebildeten Gesprächspartner schätzt. Nachdem ihr Tunnel-Projekt durch die Verlegung gescheitert ist, lassen sich Maréchal und Rosenthal nunmehr von einem anderen Fluchtplan umtreiben, der über die Mauer erfolgen sollen, während de Boeldieu sich als Ablenkung der Wachen anbietet. Doch tragischerweise erwischt ausgerechnet von Rauffenstein de Boeldieu auf der Mauer, und sein als Warnung beabsichtigter Schuss trifft den Franzosen in den Bauch …

Seinerzeit für einen Oscar nominiert und beim Filmfestival von Venedig 1937, 1938 mit dem National Board of Review Award sowie 1939 mit dem Preis der New Yorker Filmkritikervereinigung ausgezeichnet stellt Die große Illusion in vielerlei Hinsicht einen außergewöhnlichen Kriegsfilm dar, der visuell, dialogisch und dramaturgisch mit geradezu zärtlich-sanfter Sorgfalt inszeniert wurde. Ohne Pathos und mit mildem Humor regiert hier jenseits verfeindeter Fronten eine mitunter märchenhaft anmutende Menschlichkeit, die das ferne, im Film nahezu unsichtbare Kriegsgeschehen in seinem bekannten Ausmaß geradewegs absurd erscheinen lässt.

Dass dieser ebenso eindringliche wie äußerst kluge und optimistische Film in Frankreich wie in Deutschland im Jahre 1937 verpönt wurde, ist angesichts der historischen Situation, die zum Zweiten Weltkrieg führte, nicht überraschend. Heute jedoch zählt Jean Renoirs auf- wie anregend gestaltetes Manifest für einen grenzüberschreitenden Humanismus zu den ganz großen Werken seines Genres, zuvorderst deshalb, weil es die Würde des Menschen anhand von positiven Begebenheiten unterstreicht. Ob der Titel Die große Illusion im Hinblick auf eine leise Selbstironie vor dem Hintergrund der Entstehungszeit des Films gewählt wurde, bleibt den Interpretationen des Publikums überlassen, dem dieses feinsinnige Drama wärmstens empfohlen sei.

Die große Illusion

Deutschland zur Zeit des Ersten Weltkriegs: Nachdem der deutsche Major von Rauffenstein (Erich von Stroheim) ein französisches Jagdflugzeug abgeschossen hat, lässt er die beiden Insassen, den Offizier de Boeldieu (Pierre Fresnay) und den Lieutenant Maréchal (Jean Gabin), zunächst medizinisch versorgen und lädt sie dann zu einem „Gabelfrühstück“ mit seinem Stab ein, das von gegenseitiger Höflichkeit und ebensolchem Respekt der Kriegsgegner im Umgang miteinander geprägt ist.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen