The World of Kanako (2014)

Eine Filmkritik von Gregor Ries

Ein Vater sieht rot

Während des Nachspanns singt Dean Martin „Everybody Loves Somebody Sometime“, doch eigentlich müsste es in Tetsuya Nakashimas neustem Werk The World of Kanako schon eher „Everybody Hates Somebody“ heißen. Zimperlich geht es im japanischen Kino ohnehin nicht gerade zu, doch dieser Detektivkrimi, angesiedelt in einer Welt aus Gewalt, Sex, Ausbeutung und Intrigen, wirkt wie ein Schlag in die Magengrube des Zuschauers. Unter der Oberfläche seiner überbordenden Attacke auf Moral und Familienwerte erzählt Nakashima jedoch die Tragödie eines Mannes, der sich allmählich der Verfehlungen seiner Vergangenheit klar wird. Für Erlösung und Vergebung ist es allerdings zu spät.

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Nachdem die reizende Kanako (Nanu Komatsu) verschwunden ist, heftet sich ihr cholerischer, versoffener Vater Akikazo (Kôij Yakusho) fluchend und prügelnd an ihre Spur. Vor langer Zeit hat er nach seiner rabiaten Rache an seiner untreuen Frau seinen Job als Polizist verloren und ist der Kontakt zur Tochter abgebrochen. Nachdem er seine Ex-Frau nun erneut herumgestoßen und vergewaltigt hat, entdeckt der Berserker in Kanakos Zimmer erste Anzeichen dafür, dass die Musterschülerin vielleicht doch kein solcher Engel war wie angenommen. In der Folge zeigen sich noch ein skrupelloser Killer, ein zynischer, Lolli lutschender Detective (Satoshi Tsumabuki) und eine Yakuza-Gang am Verbleib des berechnenden Mädchens interessiert.

Mit einem furiosen, atemlosen Bilderrausch auf meistens drei Ebenen, wozu der Blickwinkel eines Verehrers (und Opfers) von Kanako zählt, kehrt Tetsuya Nakashima zu seinem Lieblingssujet „Teenagerwelten als Vorhölle“ zurück. Verband er in seinen ersten Arbeiten wie Beautiful Sunday (1998) noch einen ruhigen Erzählduktus mit bitterem Humor, setzt er seit Kamikaze Girls (2004) auf schnelle Schnitte, eine temporeiche Erzählsprache und knallige Farben. Zahlreiche Motive aus dem Vorgänger Geständnisse wie Mobbing, Selbstmord, gewalttätige Generationskonflikte und Rache fließen besonders in die Rückblenden ein.

Dazu mischt Nakashima Pulp-Fiction-Anleihen, Anime-, Videoclip-, Werbeästhetik, Splattereinlagen und Popkulturzitate zu einem nihilistischen Bewusstseinsstrom. Verweise auf Alice im Wunderland durchziehen die komplette Handlung. Unterlegt wird der Bilderwirbel mit einem Soundtrack aus Klassik, Soul und Rock (darunter eine verfremdete Neuversion von House of the Rising Sun). Schon der Prolog, in dem eine mit Jubelhymnen unterlegte harmonische Weihnachtsidylle ständig von Akikazos Flüchen unterbrochen wird, wirkt wie ein Rap-Stück, in dessen eingängigen Rhythmus kleine, störende Samples eingeflochten wurden. Dem schließt sich ein stilisierter, rasanter Vorspann mit „Kill“- oder „Go To Hell“-Inserts an, der an die Gangsterreißer der Sechziger erinnert.

Zusammen gehalten wird der in Nebenrollen prominent besetzte Thriller durch die überragende Leistung des Hauptdarstellers Kôij Yakusho (Babel), der einst stärker auf stille Charaktere abonniert war. Hier ist er kaum wiederzuerkennen als bulliges, unzurechnungsfähiges Wrack, der für jeden ausgeteilten Schlag zwei neue einstecken muss. Neben wenigen poetischen Momenten gelingt es Yakusho hinter all der Brutalität Anflüge von Menschlichkeit aufblitzen zu lassen. Die Tour-de-Force endet in einer idyllischen Schneelandschaft mit einem ebenso verstörenden Finale. Wenn der wütende Rausch allmählich zur Ruhe kommt, kann von Versöhnung in Kanakos Welt keine Rede sein.

Als einer der Publikumshits der Frankfurter Nippon Connection und des Fantasy Filmfests kommt Nakashimas grandioses Werk vor dem DVD-Release in untertitelter Originalversion noch in ausgewählte Kinos – ein erfreulicher Umstand, denn schon allein die ausgeklügelte Bildersprache wurde für die Leinwand konzipiert.
 

The World of Kanako (2014)

Während des Nachspanns singt Dean Martin „Everybody Loves Somebody Sometime“, doch eigentlich müsste es in Tetsuya Nakashimas neustem Werk „The World of Kanako“ schon eher „Everybody Hates Somebody“ heißen. Zimperlich geht es im japanischen Kino ohnehin nicht gerade zu, doch dieser Detektivkrimi, angesiedelt in einer Welt aus Gewalt, Sex, Ausbeutung und Intrigen, wirkt wie ein Schlag in die Magengrube des Zuschauers.

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