Madame Bovary

Eine Filmkritik von Andreas Günther

Sophie Barthes, Autorin der "Madame Bovary"?

Wahrscheinlich sind nicht die für gut befundenen, gelungenen Literaturverfilmungen die interessantesten, sondern die problematischen. Ihre Schwächen erschließen, was Literatur eigentlich vermag. Sophie Barthes Verfilmung der Madame Bovary nach Gustave Flaubert gehört dazu. Sie setzt so wuchtige eigene Akzente, dass es sich weniger um eine Neuinterpretation als vielmehr um den Versuch einer Neuschöpfung handelt.
Wie weit sie sich von Flaubert entfernt, will die franko-amerikanische Regisseurin gleich am Anfang signalisieren, wenn sie das Ende ihrer Heldin nicht nur radikal vorzieht, sondern es auch in den Wald verlegt. Es also so ganz anders gestaltet, als wir es kennen, nicht herbeigeführt von einem Gift mit „Tintengeschmack“, der auf die Lektüre verweist, die ihre erotische Phantasie entzündet, nicht umgeben von kleingeistig-sentimentalisch-heuchlerischen Leuten, die Emma Bovary verachtet. Sophie Barthes verweist auf ganz andere Kräfte, an denen Emma zugrunde geht: die Macht des Geldes und die Unterdrückung durch die Männer.

Emmas (Mia Wasikowska) Mann, der Landarzt Charles Bovary (Henry Lloyd-Hughes), ist dabei auf arglose Art gemein. In der Hochzeitsnacht betätigt er sich mechanisch an ihr, bis er kommt, früh morgens bricht er zu Patientenbesuchen auf, beim Abendessen erzählt er, wie er den Inhalt des Nachttopfs eines Patienten untersucht hat. Mit Nippes und Mode versucht Emma sich besser zu fühlen, aber dadurch gerät sie bei dem Damenschneider und Inneneinrichter Monsieur Lheureux (Rhys Ifans) in die Schuldenspirale. Ihre Liebhaber, der Marquis (Logan Marshall-Green) und der Notariatsgehilfe Léon (Ezra Miller), die sie aufrichtig liebt, halten nicht, was sie versprechen.

Das Leiden an den Männern schildert Sophie Barthes sehr eindringlich. Schon das öde, schäbige Haus, in das es Emma durch ihre Hochzeit verschlägt, ist ein Gefängnis der Trostlosigkeit. Zwar erfindet Barthes die männlichen Figuren der Vorlage nicht neu, aber ihre harten, unnachgiebigen Charakterzüge, ihre vernichtende Herzlosigkeit. Hinzu kommen völlig neue Szenen, die Emmas totale Abhängigkeit betonen, wie etwa die, in der Charles endlos lange, dicke Schnüre aus dem Korsett ziehen muss, bis Emma von dem Kleidungsstück befreit ist.

Basierend auf sozialgeschichtlichem Wissen von der gesellschaftlichen Stellung der Frau im 19. Jahrhundert schreibt Barthes filmisch die Madame Bovary als Ballade patriarchalisch-kapitalistischer Misshandlung neu, gegen Flauberts Schweigen in diesem Punkt, in der Art, wie in einer Kurzgeschichte von Borges angeblich jemand den Don Quijote viel besser als Cervantes schreibt, weil er einem fortschrittlicheren Zeitalter angehört. Indem Emma Bovary dabei zum naiven Opfer stilisiert wird, verliert sie ein wenig von ihrer Menschlichkeit – und ihr utopisches, inzwischen millionenfach verwirklichtes Potenzial, dass Frauen ohne moralische Rücksicht ihre erotischen Phantasien ausleben, womit Flaubert als einer der ersten literarisch vertraut machte.

Madame Bovary

Wahrscheinlich sind nicht die für gut befundenen, gelungenen Literaturverfilmungen die interessantesten, sondern die problematischen. Ihre Schwächen erschließen, was Literatur eigentlich vermag. Sophie Barthes Verfilmung der „Madame Bovary“ nach Gustave Flaubert gehört dazu. Sie setzt so wuchtige eigene Akzente, dass es sich weniger um eine Neuinterpretation als vielmehr um den Versuch einer Neuschöpfung handelt.
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