Der letzte Sommer der Reichen

Ein Film wie eine Baustelle vor der eigenen Haustür

In der Filmkritik ist es sehr unüblich, etwas über die „Aufführung“ zu schreiben, obwohl diese mit großer Sicherheit maßgeblich auf unsere Wahrnehmung eines Films einwirkt. Im Fall des zweiten Diagonale–Screenings von Peter Kerns Der letzte Sommer der Reichen muss dies jedoch geschehen, da das emotionale Publikumsgespräch nach dem Film zum einen den Effekt der satirischen Verbitterung von Kern verstärkte und zum anderen sehr viel über dessen Arbeit aussagt.
Im Film geht es um die rücksichtslose Konzernchefin Hanna von Stezewitz (verkörpert von einer furchtlosen Amira Casar), die auf sämtlichen kapitalistisch dominierten Auswüchsen der Gesellschaft von der Kulturindustrie, über die Politik und das Bankwesen bis zur Prostitution in kalter und gewaltvoller Manier spielt.

Dabei führt Kern die Intrigen und Machtspiele eng zusammen mit sexuellen Abhängigkeiten und Perversionen. Hanna lässt sich in einem Etablissement auspeitschen und vergewaltigt junge Models, die in ihre Firma kommen. Gleichzeitig findet sie sich in einem äußerst rudimentär und klischeehaft gezeichneten Vaterkonflikt, der ihrem Verhalten eine völlig unnötige psychologische Note gibt und sie in die Tradition eines Nazidenkens setzt. Der Kreislauf – so die mehr als deutliche Aussage – geht immer weiter. So laufen schon kleine Kinder durch die Freudenhäuser und junge Mädchen verfolgen trotz unmenschlicher Bedingungen ihren Traum. Schließlich wird der meist in Lack gekleidete Tiger von Stezewitz aber gebändigt von einer lesbischen Nonne, die den Vater pflegte und einem falschen Stripclubbesitzer, der Hanna in gefährliche Gewässer führt. Es ist die Liebe, die als Gegenpol zur harten Welt des Kapitals herhalten muss. Kern prügelt seine Botschaften und seinen Zynismus förmlich ein auf den Zuschauer. Er macht das durchaus gekonnt und mit Liebe zum Detail. Aus der kalten Herrscherin wird eine paranoide Liebende, hilflos und ohne Hoffnung.

Sehr spannend erscheint auch die Blickstruktur von Kern, die immer wieder Trieben und spontanen Ideen zu folgen scheint, aber sich dann doch in ein größeres Bild einfügt. Exemplarisch dafür steht eine Szene, in der ein zunächst unerkannter Attentäter mit einem Zielfernrohr auf unterschiedliche Figuren zielt. Man kann Kern förmlich dabei zusehen wie er überlegt, welche Person nun erschossen werden soll und die letztliche Entscheidung scheint zunächst einer Lust am Skandalösen zu folgen, ergibt aber bei genauerer Betrachtung durchaus einen übergeordneten Sinn. So wird man in diese kaputte Welt gezogen, die in ihrer ganzen Gewalt und Überladung als abgetöteter Sündenpfuhl erscheint. Die politischen und gesellschaftskritischen Aspekte werden dabei von der überzeichneten Penetranz nicht unbedingt unterstützt. Der Film fühlt sich ein wenig so an wie eine Baustelle vor der eigenen Haustüre. Zunächst irritiert und stört sie einen, aber da sie immer weiter lärmt und nicht aufhört, hört man sie irgendwann nicht mehr. Auf der anderen Seite liegt darin genau die Stärke von Der letzte Sommer der Reichen und man würde sich unter Umständen sogar wünschen, dass der Film seine Überzeichnungen noch mehr auf die Spitze treibt.

Nun verhalten sich die Provokationen des Films natürlich immer auch zum Publikum. Während des Screenings konnte man lautes Lachen genauso wahrnehmen wie entrüstetes Kopfschütteln. Nach dem Film gab es dann ein Publikumsgespräch, das den Anwesenden lange Zeit in Erinnerung bleiben wird, vielleicht sogar länger als der Film selbst und womöglich ist das auch genau der Wert eines solchen Films. Nach einer Vorstellung des Filmemachers durch Moderator Olaf Möller äußerte sich zunächst ein Mann über das seiner Meinung nach durchschnittliche Schauspiel. Schnell stellte sich heraus, dass er mit einem Realismusanspruch an den Film heranging, der dort eigentlich nichts verloren hat. Das Interessante war, dass Kern selbst seinen Film als Wahrheit bezeichnete. Damit stellte sich doch eine der spannenderen Fragen in Verbindung mit Der letzte Sommer der Reichen. Denn die Dichte und extravagante Penetranz, mit der hier auf den Zuseher eingeprügelt wird, ist jenseits der Vorstellungskraft einer bürgerlichen Wahrnehmung beziehungsweise die Verdichtung an sich führt womöglich eher weg von der Wahrheit als zu ihr hin. Der Film weist keinerlei Feingefühl auf und genau darin findet Kern womöglich seine Aussage. Diese kann sich aber so nur schwer vermitteln. Zweifelsfrei ist es jedoch dem Künstler überlassen, wie er nach der Wahrheit sucht.

Eine weitere völlig aufgebrachte Zuseherin verunglimpfte den Film dann gar als „Wichsvorlage“ für den Regisseur und alte Männer. Eine natürlich völlig überzogene und respektlose Feststellung, die schlicht einer verfehlten Interpretation gleichkommt. Natürlich ist im Film alles sexuell konnotiert und durchaus aufgeladen und von einem absolut männlichen (kapitalistischen) Blick geleitet, aber genau darin findet sich auch die Kritik. In der Folge kam es zu Zwischenrufen und kurzen Streitgesprächen im Publikum. Peter Kern selbst kommentierte immer wieder, wie erschreckend die Meldungen mancher Zuseher wären und wie wenig Verständnis es doch gäbe. Auch die bedenkliche Aussage eines jüngeren Zusehers, der die Vergewaltigungsszene untermalt mit klassischer Musik als „schön“ empfand, gibt zu denken. Andere setzten sich dann vehement für den Film ein. Darunter auch eine Frau, die immer wieder in die Runde schrie und ihre Beobachtungen von kleinen Details mit dem Publikum teilte. Leider machte Kern den Fehler, diese Frau für ihre Beobachtungsgabe (die sich auf sehr offensichtliche Stellen bezog) zu loben, woraufhin diese gar nicht mehr aus dem Schwärmen (über ihre eigenen Beobachtungen) kam. Auch ihr Begleiter wurde dem überdrüssig. Nachdem er sie erst ein wenig beruhigen wollte und sie an der Schulter berührte, begann er plötzlich laut zu telefonieren, während sie mit Kern diskutierte. Wundervoll, fast wie in einem österreichischen Film!

Der entscheidende Diskussionspunkt für die Zuseher waren die Intention und der Inhalt. Scheinbar kommt es bei vielen zu einer Verunsicherung über die Natur dieser/einer filmischen Welt. Oft wird eine offensichtlich kritischere Haltung der Filme gefordert. Ähnliche Diskussionen (auf ungleich höherem Niveau ) gab es ja unlängst über Martin Scorseses The Wolf of Wall Street. Scheinbar gibt es bei vielen Zusehern Schwierigkeiten, wenn sie die Moral einer Geschichte selbst entwickeln oder erkennen müssen. Das einfache Zeigen dieser Dinge genügt nicht und auch die Überspitzung, Verdichtung oder Penetranz ist kein Fingerzeig. Die Moralkeulen eines bürgerlichen Fernsehens und des dominanten amerikanischen Kinos haben eine emanzipierte Sichtweise auf Film schwer gemacht. Damit ist dieses Publikumsgespräch gewissermaßen eine der Folgen der im Film dargestellten Welt. Wenn Der letzte Sommer der Reichen solche Gedanken, Streitgespräche und Diskussionen auslösen kann, dann hat er etwas Großartiges vollbracht.

(Festivalkritik Diagonale 2015 von Patrick Holzapfel)

Der letzte Sommer der Reichen

In der Filmkritik ist es sehr unüblich, etwas über die „Aufführung“ zu schreiben, obwohl diese mit großer Sicherheit maßgeblich auf unsere Wahrnehmung eines Films einwirkt. Im Fall des zweiten Diagonale-Screenings von Peter Kerns „Der letzte Sommer der Reichen“ muss dies jedoch geschehen, da das emotionale Publikumsgespräch nach dem Film zum einen den Effekt der satirischen Verbitterung von Kern verstärkte und zum anderen sehr viel über dessen Arbeit aussagt.
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