Im Schatten der Frauen

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Die sanfte Gewalt einer sterbenden Liebe

Filme wie Philippe Garrels L’ombre des femmes werden heute eigentlich gar nicht mehr gemacht. Dieses Gefühl drängt sich in einem auf, wenn man in für den Filmemacher altbewährten 16mm-schwarz-weiß-Bildern (in diesem Fall des großartigen Kameramanns Renato Berta) einer behutsamen Geschichte um Liebe und Untreue folgt und sich einmal mehr in diesem offenen Kino verliert, das den Geist des vergangenen französischen Kinos in seinen ästhetischen und moralischen Vorstellungen atmet. L’ombre des femmes ist sicherlich kein Film, der irgendwas am Kino neu erfinden will, er ist keine große Geste eines Künstlers, nein, es ist ein einfacher Film über komplexe Dinge, der sich wunderbar in das Gesamtwerk des französischen Meisters einfügt. Garrel vermag es wie so oft unter der sanften Oberfläche seines Films eine persönliche Grausamkeit zu entdecken, die einem beim Zusehen ganz unbemerkt tiefere Narben beifügt.
Begleitet von der sporadischen Erzählstimme seines Sohnes Louis Garrel und umwindet vom Hauch einer verblassten Nouvelle Vague in Pariser Cafés, erzählt Garrel von dem Filmemacherpärchen Manon (Clotilde Corau) und Pierre (Chantal-Akerman-Darling Stanislas Merhar). Pierre ist Dokumentarfilmer und Manon ist die Frau in seinem Schatten. Sie schneidet und arbeitet als Skriptgirl bei seinen Arbeiten. Sie führen eine müde Beziehung, in der vor allem Pierre emotional völlig abwesend ist. Wie sich bald herausstellt, haben beide jeweils eine Affäre, wobei Manon von ihren Gefühlen zerrissen wird, während Pierre in einer selbstbemitleidenden Lethargie über den Körper einer jungen Praktikantin herfällt (Lena Paugam mit einem herausragenden Debüt und einer für Garrel so typischen körperlich-sinnlichen Darstellung). Alle versuchen hier mit oder sogar trotz ihrer Emotionen zu überleben. Es ist ein Film über die Lügen, die uns am Leben halten.

Garrel folgt dem Geschehen gewohnt simpel, obwohl die Zeiten seines radikalen Minimalismus vorbei scheinen. Hier gibt es kein Bild, das man nicht unbedingt bräuchte: Man kommt, man geht, man küsst sich. Der Filmemacher findet erstaunliche Lösungen für eigentlich klischeehafte Szenen. So befinden wir uns plötzlich mit Pierre und der Praktikantin in deren Wohnung, ohne dass wir wissen, wie es dazu kam, und für einige Augenblicke schwebt unsere Aufmerksamkeit in einer Unsicherheit über die Natur dieses Treffens bis Pierre die junge Frau küsst. Pierre hängt machtlos zwischen der Widerwärtigkeit männlicher Klischees und dem Zerbrechen an deren Existenz im eigenen Leben. Manon geht es auf der weiblichen Seite kaum anders. In diesem Sinn ist L’ombre des femmes ein Film zwischen den Ansprüchen einer emanzipierten Welt und den Fehlern derer, die in ihr leben.

Der Film handelt von Menschen, die an den Prinzipien scheitern, die sie für sich selbst aufstellen. Es ist erstaunlich, welch schmaler Grat sich hier zwischen der Wahrheit und der Lüge offenbart. Zwar hat man immer wieder das Gefühl, dass Dinge sehr ehrlich und vernichtend angesprochen werden, aber gleichzeitig bleiben essentielle Wahrheiten im Dunkeln. Es ist ein perfides Kontrollspiel, bei dem letztlich vor allem die Gefühle leiden müssen. Denn immer, wenn jemand hier liebt oder lieben will, wird er sofort mit der Fragilität dieser Liebe konfrontiert. Liebe ist in diesem Film sicher etwas anderes als das pure Glück.

Die Intensität eines einfachen Bildes vermag bei Garrel immer wieder in flüchtigen oder plötzlichen Bewegungen entstehen. Sein Kino baut sich nicht zusammen aus einer Handlung oder aus der Relation verschiedener Szenen, es sind vielmehr einzelne Situationen und eine Zerbrechlichkeit zwischen zwei Bildern, die seine Filme so berührend machen. Zwar erreicht er mit L’ombre des femmes nicht die Größe früherer Arbeiten, aber das muss er auch gar nicht. Garrel scheint mehr an einem Lebenswerk zu arbeiten, an Variationen des menschlichen Gefühlsspektrums, die wir immerzu hören, aber nie wirklich sehen. Er gehört zu den wenigen verbliebenen Filmemachern, die eine Berührung noch als solche inszenieren und ein Zittern als solches spürbar machen. Da verzeiht man ihm auch, dass mancher Musikeinsatz, die Erzählstimme und kurze Augenblicke zur bloßen Hülle verkommen. Diese Gesten sind oft nur eine Bewegung hin zur Tiefe bei Garrel. Es ist wie beim Ritual eines Turmspringers vor dem Absprung. Und ähnlich seinen jüngeren Werken La jalousie oder Ein brennender Sommer schimmert diese Tiefe dann nach und nach durch die allzu bekannten Oberflächen hindurch.

Das Drehbuch für L’ombre des femmes stammt von der französischen Drehbuchlegende Jean-Claude Carrière (Belle de jour, Der diskrete Charme der Bourgeoisie, Der Swimmingpool u.a.), aber außer in einer einsamen nächtlichen Szene, in der Manon das lustvolle Stöhnen einer Frau am Fenster belauscht, findet sich keine „typische“ Carrière-Szene im Film. Natürlich wäre das auch ein wenig platt, aber L’ombre des femmes fühlt sich wieder absolut nach Garrel an, der sich immer mehr zu klassischen Drehbuchszenarien hingezogen fühlt und dennoch seine Persönlichkeit in einer sanften Gewalt und verbitterten Ehrlichkeit zum Ausdruck bringt. Dass am Ende dieses Films gelächelt wird, ist wieder eine dieser Lügen, die wir brauchen, um zu überleben.

Im Schatten der Frauen

Filme wie Philippe Garrels „L’ombre des femmes“ werden heute eigentlich gar nicht mehr gemacht. Dieses Gefühl drängt sich in einem auf, wenn man in für den Filmemacher altbewährten 16mm-schwarz-weiß-Bildern (in diesem Fall des großartigen Kameramanns Renato Berta) einer behutsamen Geschichte um Liebe und Untreue folgt und sich einmal mehr in diesem offenen Kino verliert, das den Geist des vergangenen französischen Kinos in seinen ästhetischen und moralischen Vorstellungen atmet.
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