Fallwurf Böhme - Die wundersamen Wege eines Linkshänders

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Porträt eines abgesägten Handballprofis

Um die XXII. Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau zur Zeit des sogenannten Kalten Krieges tosten angesichts der höchst angespannten internationalen politischen Situation bereits im Vorfeld die Turbulenzen. Als militärische Einheiten der damaligen UdSSR im Dezember 1979 in Afghanistan einmarschierten, wurde unter Federführung der USA bereits der Boykott der bevorstehenden Olympiade vorbereitet, zumal das Internationale Olympische Komitee die geforderte Verlegung der Spiele rigiros verweigerte. Unter den rund achtzig letztlich teilnehmenden Nationen befand sich mit über 360 Sportlern auch die Deutsche Demokratische Republik, darunter wiederum die als Favorit gehandelte Handballnationalmannschaft, die allerdings kurzfristig auf ihren Kapitän und Spitzenspieler Wolfgang Böhme verzichten musste. Nicht etwa, weil der für seine ganz speziellen Fallwürfe berüchtigte Linkshänder verletzt oder erkrankt war, sondern vielmehr aufgrund der teilweise bis heute so undurchsichtigen wie unverständlichen Entscheidung der damaligen Machtstrategen.
Was es bedeutet und wie es sich anfühlt, vom privilegierten Sportstar der einstigen DDR kurzerhand zur Unperson degradiert und auch so behandelt zu werden, das weiß der heute 65-jährige Wolfgang Böhme aus eigener bitterer Erfahrung. Gemeinsam mit seinem Zwilling Matthias, seinem älteren Bruder Hans-Werner und seinen systemkonformen Eltern idyllisch in Heringsdorf auf Usedom aufgewachsen, zogen die Zwillinge mit dreizehn Jahren ins Sportinternat nach Rostock, wo Wolfgang allmählich zum Handballtalent avancierte. Zunächst stand jedoch eine reiseaktive Matrosenlehre für die beiden an, bis Wolfgang von dort in die Jugendauswahl der Profihandballer berufen wurde. Auch innerhalb des Nachwuchskaders bereiste der ambitionierte Sportler die Welt, hatte Zugang zu sonst für DDR-Bürger versperrte Sphären und startete in eine enorm erfolgreiche Karriere beim SC Empor Rostock. Früh begann in diesem Rahmen auch die unreflektierte, vom Mannschaftsarzt angeordnete Einnahme von als „unterstützende Maßnahme“ deklarierten Tabletten, bei denen es sich um das Dopingmittel Oral-Turinabol handelte.

Drei Monate, bevor es zum höchsten, hehren sportlichen Ziel der Olympiade nach Moskau gehen sollte, wird Wolfgang Böhme unvermittelt aus dem Aufgebot der Nationalmannschaft entfernt, unter fadenscheinigen Vorwänden und -würfen wie dem heimlichen Empfang von Westgeld, Frauengeschichten und sogar Schmuggel. Für den 30-jährigen bedeutete dies nicht nur das sofortige Ende seiner Karriere, sondern auch einen erheblichen, schmerzhaften und mit sozialer Ächtung einhergehenden Einschnitt in allen Lebensbereichen. Wolfgang Böhme, dessen ausführliche Tagebücher einen wesentlichen Pfeiler des Dokumentarfilms Fallwurf Böhme – Die wundersamen Wege eines Linkshänders darstellen, arbeitete fortan zunächst als Sportlehrer und später als Türsteher, bis 1989 schließlich sein Ausreiseantrag genehmigt wurde und er in die Schweiz übersiedelte, wo er und auch sein Zwillingsbruder auch heute noch leben. Doch seine bewegte Lebensgeschichte weist weit mehr auf als das skandalträchtige Ausscheiden aus der Handballnationalmannschaft der DDR mit all seinen drastischen Konsequenzen.

Als ebenfalls aus Heringsdorf stammender Kinder- und Jugendfreund der Brüder Böhme ist der Dokumentarfilmregisseur Heinz Brinkmann natürlich in besonderem Maße geeignet, diese authentische Geschichte zu erzählen, die weit über eine gewöhnliche Sportlerbiographie hinausragt und neben Wolfgang Böhme und seinen Brüdern noch einige weitere Zeitzeugen vor der Kamera zu Wort kommen lässt. In ansprechender und durchaus auch humorig durchsetzter Form, vor allem zu Beginn des Films, entsteht mit Fallwurf Böhme – Die wundersamen Wege eines Linkshänders ein in die politische Historie eingebettetes, sehr persönliches Porträt eines Mannes, der Opfer eines repressiven Systems wurde und seine Resignation durch seine positive Lebenshaltung überwunden hat. Auch wenn ihn der SC Empor Rostock 2008 rehabilitiert und zum Ehrenmitglied erhoben hat, stellt dieser mit stimmungsvollen Jazzklängen unterlegte Dokumentarfilm doch auf ganz besondere Weise eine auch mit kritischen Zwischentönen ausgestattete Würdigung dieses unwegsamen Schicksals dar. Und transportiert darüber hinaus reichlich Zeitgeist und Lokalkolorit der damaligen DDR aus einer unüblichen Perspektive, die einiges an Nachdenklichkeiten produziert.

Fallwurf Böhme - Die wundersamen Wege eines Linkshänders

Um die XXII. Olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau zur Zeit des sogenannten Kalten Krieges tosten angesichts der höchst angespannten internationalen politischen Situation bereits im Vorfeld die Turbulenzen. Als militärische Einheiten der damaligen UdSSR im Dezember 1979 in Afghanistan einmarschierten, wurde unter Federführung der USA bereits der Boykott der bevorstehenden Olympiade vorbereitet, zumal das Internationale Olympische Komitee die geforderte Verlegung der Spiele rigoros verweigerte.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen