Take What You Can Carry

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Unser langsames Leben

In den Bildern von Matthew Porterfield liegt ein Zweifel an der Zukunft. Es ist ein müder Zweifel, der sich immer wieder in einer driftenden Musikalität auffängt, der dadurch ein emotionales Sprachrohr bekommt, bis wir uns letztlich in der gleichen Leere finden, die nicht nur auf die Protagonistin, die US-Amerikanerin Lilly, in Take What You Can Carry wartet, sondern auf eine ganze Generation, ja, uns alle. Der Kurzfilm erzählt fragmentarisch von der jungen Frau, verkörpert von Porterfields Freundin Hannah Gross, auf Durchreise in Berlin und ihrem Leben ohne Heimat, ohne Zugehörigkeit, zwischen Räumen, die sie zwar berühren kann, die aber letztlich nur eine Höhle für ihre Einsamkeit bleiben. Sie scheint sich nicht wirklich auf eine Beziehung mit ihrem Freund (der wunderbare Jean-Christophe Folly) einzulassen und auch sonst gehört sie nirgends richtig dazu.
Sinnbildlich isoliert Porterfield sie meist hinter geschlossenen Fenstern, die Tonebene ist eine einzige Stille, die Räume sind nie ganz zu sehen, alles ist verwinkelt, unvollständig und undurchschaubar, und doch bewegt sich wenig. Dabei arbeitet der Film zunächst auf eine meditative, stimmungsbezogene Weise mit der Wahrnehmung von Figuren und Räumen, bis man schließlich, auch evoziert durch vorgelesene Briefe und Statements (unter anderem durch Schläfer-Darsteller Bastian Trost) und eine lange Tanzperfomance von Gob Squad, beginnt, sich essentielle Fragen an das Leben zu stellen: Was erwartet man vom Leben? Wie artikuliert man Gefühle? Wo gehen wir hin und wo kommen wir an?

Dieses Gefühl eines bewegungslosen Driftens ist sozusagen ein Markenzeichen von Porterfield, welches er bereits in seinen bisherigen Langfilmarbeiten Hamilton, Putty Hill und vor allem I Used to Be Darker erforschte und spürbar machte. Es ist jedoch auch ein Markenzeichen der Berliner Schule (zumindest einiger ihrer Vertreter) und man könnte Porterfield, der diesen Kurzfilm zusammen mit der Produzentin Zsuzsanna Kiràly in interessanter Manier jenseits eines klassischen deutschen Förderprogramms realisierte, schlicht zum ästhetischen Programm dieses Kinos zählen. Deutsches Kino also, das mit fremden Augen in der Lage ist, ein bestimmtes Lebensgefühl in der Hauptstadt zu durchdringen.

Daher überrascht es auch nicht, dass Angela Schanelec in einer kleinen Nebenrolle zu sehen ist, denn das Echo ihrer Arbeit ist ganz deutlich im Film und allgemein im Kino von Porterfield zu hören. Ein ähnliches Gefühl für das Verhältnis von Zeit und Raum und die Unmöglichkeit einer zielgerichteten, ja dramatischen Existenz inmitten dieser Kategorien finden sich beispielsweise in Schanelecs großartigem Marseille. Die Präzision dieses Realismus in Bildern, Bewegungen und Sprache („So, you had fun last night?“ — „Yeah, what about you?“ — „Yeah, cool.“), der von vielen als kühl wahrgenommen wird, obwohl er voller heftiger Emotionen wie Hoffnung, Angst, Verlangen, Eifersucht und Resignation steckt, deutet beständig auf ein Zeitbild. Hier liegt womöglich auch die einzige Schwäche des Films, da Porterfield insbesondere in den abstrakteren Passagen wie der Tanzperformance etwas zu deutlich macht, dass es hier um ein „Wir“ statt ein „Sie“ beziehungsweise „Ich“ geht. Das Problem dabei ist der Widerspruch zwischen der fragmentarischen und beschränkten Sicht auf eine absolut glaubwürdige Welt und dem Allgemeingültigkeitsanspruch, der von dieser Generationenbeschreibung ausgeht. Obwohl das Fragmentarische womöglich Kennzeichen dieser Generation ist. Dennoch geht davon eine irgendwie friedliche Beruhigung aus, weil man diese Leere zwar sieht und spürt, aber das Gefühl bekommt, dass es uns letztlich allen so geht.

Wichtig für den Indie-Regisseur aus Baltimore ist dabei immer die Musikalität, die hier mehrfach durch die Szenen erklingt und weitaus komplexer eingesetzt wird als nur als Möglichkeit eines emotionalen Ausbruchs. Vielmehr gibt es eine Hypnose, die befreiend oder einengend sein kann. So erzählt das Zupfen auf der Gitarre von Lillys Freund von einer Fehlkommunikation und einem gelangweilten Wegtreiben, während die Tanzperformance durchaus als eine Art Therapie verstanden werden kann. Die Rhythmik liegt jedoch auch in der Montage und den Gesprächen, diese monotone Friedlichkeit unter der die pulsierenden Melodien einer Sehnsucht, einer Nostalgie und einer Gewalt liegen, die man wie vieles in Take What You Can Carry nur erahnen kann und die man immerzu spürt, wenn man nicht nur den Sommer über in Berlin geblieben ist.

Take What You Can Carry

In den Bildern von Matthew Porterfield liegt ein Zweifel an der Zukunft. Es ist ein müder Zweifel, der sich immer wieder in einer driftenden Musikalität auffängt, der dadurch ein emotionales Sprachrohr bekommt, bis wir uns letztlich in der gleichen Leere finden, die nicht nur auf die Protagonistin, die US-Amerikanerin Lilly, in „Take What You Can Carry“ wartet, sondern auf eine ganze Generation, ja, uns alle.
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