Dürrenmatt - Eine Liebesgeschichte

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Die Wortlosigkeit einer Liebe

Auf den ersten Blick könnte der Titel Dürrenmatt – Eine Liebesgeschichte etwas in die Irre führen. Denn dieser Dokumentarfilm von Sabine Gisiger ist weder eine Liebesgeschichte zwischen Regisseurin und Autor noch wird – entgegen des Pressetextes – nur von der Liebesgeschichte zwischen Friedrich Dürrenmatt und seiner Ehefrau Lotti erzählt. Vielmehr fächert Gisiger ausgehend von dem tiefen Einschnitt durch Lottis Tod das Leben und Wirken Friedrich Dürrenmatts in einer Verbindung aus Filmausschnitten, die den Autor selbst zeigen, und Gesprächen mit seinen Kindern sowie seiner Schwester auf.
„Mein Leben begann in einer gespenstigen Idylle“, erzählt Dürrenmatt über seine Kindheit. Aufgewachsen als Sohn eines Pfarrers in Konolfingen war seine Kindheit geprägt von Außenseitertum und Kirchgängen, denen er sich zu entziehen versuchte. Eine benachbarte Metzgerei machte ihn nach eigener Aussage schon früh mit einem allgegenwärtigen Tod vertraut. Im Jahr 1934 zog er schließlich mit seiner Familie nach Bern und dieser Schritt im Alter von 13 Jahren vom Dorf in die Stadt war eine umwälzende Erfahrung für ihn. Als Jugendlicher machte er mit seinen Eltern aus, dass er Maler werden dürfte, wenn er Abitur mache – und musste dann feststellen, dass niemand seine Bilder ernst nahm. Er wurde verlacht. Schon hier begann Dürrenmatt, was er zeit seines Lebens fortsetzen sollte: Er erfand sich wieder neu, studierte Philosophie und sollte später als Schriftsteller, Theaterautor, Krimischreiber und Maler erfolgreich sein. Für Dürrenmatt war die Welt ein Irrenhaus, der man nur mit der Komödie beikommen konnte – und er selbst ein „geduldeter Verrückter“ in dieser Welt.

Im Jahr 1946 heiratete er die Schauspielerin Lotti Geissler, sie bekamen zwei Kinder und waren immer zusammen. Sie diskutierten über seine Figuren und waren sehr aufeinander konzentriert. In dieser Beziehung blieb wenig Platz und Aufmerksamkeit für andere – auch für die gemeinsamen Kinder. Und so sagt der gemeinsame Sohn Peter – zum Zeitpunkt des Drehs 66 Jahre alt –, er habe gewissermaßen erst mit dem Tod der Mutter bemerkt, dass seine Eltern aus zwei Personen bestanden. Es sind solche Sätze, die diesen Dokumentarfilm bemerkenswert machen, in ihnen lässt sich erahnen, wie wichtig und eng die Beziehung zwischen Friedrich und Lotti war. Denn es gelingt Sabine Gisiger zwar nicht, dieser 40 Jahre dauernden Liebe nahe zu kommen, aber gerade in dem Scheitern liegt das Betörende ihres Unterfangens. Deutlich zeigen die Filmausschnitte, dass Friedrich Dürrenmatt sich wunderbar selbst inszenierte – immer wieder spielte er sich selbst als Maler, scheinbar vergessener Theaterautor oder im Dialog mit seinem Kakadu. Doch sobald es um die Liebe geht, um das Leben mit seiner Frau Lotti und um ihren Tod, an dem er beinahe zerbrach, wird er erschütternd schweigsam. Anscheinend fehlen dem wortgewaltigen „geduldeten Verrückten“ gerade angesichts der Liebe und des Schmerzes die Worte. In seinen Stücken hat Dürrenmatt eine brillante und zynische Analyse der Welt geliefert, in sein Filmausschnitten zeigt er sein inszeniertes Ich, die dunklere Seite seines Selbst hält er indes verborgen, sie lassen sich nur erahnen in den Erzählungen seiner Kinder und Schwester, die von den depressiven Phasen der Mutter berichten und andeuten, dass sie dem Vater mehr als nahe gingen. Und es sind diese Leerstellen, die Dürrenmatt – Eine Liebesgeschichte in den besten Momenten zu einem berührenden Autorenporträt machen.

Ein Jahr nach Lottis Tod heiratete Dürrenmatt die Filmemacherin Charlotte Kerr, von der ein Großteil des Filmmaterials stammt – sie hat es für Porträt eines Planeten gedreht. Und hier offenbart sich dann eine weitere Bedeutung des Filmtitels. Obwohl es fast ausschließlich um Dürrenmatt geht, sind die meisten Bilder von seiner zweiten Ehefrau – und somit auch eine Art Liebesgeschichte, die dann ganz im Dürrenmatt’schen Sinn eine ironische Pointe hat: Lotti wünschte sich, dass ihre Asche unter einem bestimmten Baum um Garten verstreut wurde, und dort wollte dann auch Friedrich Dürrenmatt seine letzte Ruhe finden. Als Charlotte Kerr starb, verfügt sie, dass auch ihre Asche unter diesem Baum beigesetzt wird – nicht ahnend, dass dort bereits Lottis Asche ist. Friedrich Dürrenmatt hätte das wohl gefallen.

Dürrenmatt - Eine Liebesgeschichte

Auf den ersten Blick könnte der Titel „Dürrenmatt – Eine Liebesgeschichte“ etwas in die Irre führen. Denn dieser Dokumentarfilm von Sabine Gisiger ist weder eine Liebesgeschichte zwischen Regisseurin und Autor noch wird – entgegen des Pressetextes – nur von der Liebesgeschichte zwischen Friedrich Dürrenmatt und seiner Ehefrau Lotti erzählt.
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