Log Line

Eine wahre Geschichte: Auf dem Spielplatz beschimpft ein Neonazi Mutter und Sohn. Und es beginnt eine Tragödie…

Es brennt (2023)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Es brennt sich ein

Es gibt eine Szene im Film, da sitzen Amal (Halima Ilter) und Omar (Kida Khodr Ramadan) einfach nur da. Und wir hören, ohne direkten Bezug zu diesem Ehepaar, eine Diskussion aus dem Off, ein Gespräch darüber, ob es sich überhaupt lohnt, zu bleiben. Jederzeit kann einem ein Nazi auflauern, jederzeit kann man zum Opfer werden. Aber wohin sollen sie gehen? „Zurück“? – wohin zurück? Sie leben in Deutschland, arbeiten hier, sind hier geboren. Das „Zurück“, das die Nazis fordern, ist Blödsinn. Aber bleiben? Dann schwebt die Kamera durch das Zimmer, fängt die beiden wieder auf, der Film ist über sich hinausgewachsen, vom bodenständigen Drama zu etwas Höherem; zu etwas Allgemeinem.

Amal war auf dem Spielplatz übel beschimpft worden. Ihr kleiner Sohn Ahmad wollte schaukeln. Auf der einen Schaukel ein Mädchen, die beiden Kinder blicken sich an, lächeln, eine sofortige Verbindung, wie es bei Kindern oft der Fall ist. Auf der anderen Schaukel ein Mann. Wie sich herausstellen wird der Onkel des Mädchens. Er will nicht aufstehen. Beantwortet die höfliche Frage von Amal mit einer üblen Tirade über Islamisten, die Deutschland bevölkern (mal harmlos zusammengefasst). Zwei Frauen kamen Amal zu Hilfe. Es folgte ein Gerichtstermin wegen Beleidigung. Der Mann (Nicolas Garin) zügelt sich nicht. Die Richterin hört drei Sätze und verurteilt ihn. Er geht in Berufung.

Regisseur Erol Afşin erzählt eine wahre Geschichte. Und wie er sie erzählt: Ganz nah und intim folgt er dieser kleinen Familie: Amal, Omar, Ahmad. Ein weiteres Geschwisterkind ist unterwegs. Selten erlebt man eine solch wahrhaftige Darstellung von Zusammenleben, mit all den kleinen Ritualen, die sich im Lauf der Zeit in dieser Familie herausgebildet haben. Da liegt eine Innigkeit und ein gegenseitiges Verständnis in den Bildern, was sich in kaum greifbaren, kleinsten Nuancen offenbart. Darsteller und Darstellerin lassen sich völlig in ihre Rollen fallen; offenbar sind die Dialoge improvisiert, die Charaktere verhaspeln sich manchmal, sprechen übereinander – allein die Inszenierung dieser Familie ist es wert, den Film zu sehen.

Und Afşin flicht von Anfang an kleine Momente des Unbehagens ein. Der Beginn ist Schwarzbild, wir hören ein Kind: Nein, hör auf, lass mich! Es sind aber nur der Vater und der Sohn beim Kitzelspiel. Amal arbeitet in der Apotheke, die Kollegin setzt zu einem ernsten Gespräch an – es ist aber nur ein foppender Spaß. Omar und Amal sehen regelmäßig abends Filme, diesmal ist Die Nacht der lebenden Toten dran, das Ende, der weiße Mob und der schwarze Held gegen die Zombies und der üble Ausgang … Es brennt wird, das wissen wir spätestens hier, kein gutes Ende nehmen. Aber ein wie schlimmes Ende es nehmen wird … das bleibt hängen.

Nicht nur diese realistisch, positiv gezeichnete Familie wirkt unendlich authentisch – auch Nicolas Garin als Neonazi ist unheimlich wahrhaftig. Er hat wenige Szenen, aber die füllt er voll aus, ohne jede Selbstbegrenzung geht er auf in den Parolen, die seine Figur mit voller Überzeugung lebt. Sein Plädoyer in eigener Sache vor Gericht hat es in sich, Hass, Wut, Demütigung, Selbstgerechtigkeit, Garin spricht frei von der Leber weg – so etwas gibt es, es ist furchtbar.

Offenbar ist dieser Film aus der Empörung heraus entstanden. Empörung über einen Fall von 2009, und Empörung darüber, dass er genauso heute oder morgen passieren kann. Es brennt aus.

Es brennt (2023)

Amal, Omar und ihr Sohn Ahmad sind eine glückliche arabische Familie, die in Deutschland lebt. Auf dem Spielplatz treffen sie auf einen Mann namens Franz. Die Situation gerät außer Kontrolle, als Franz Amal wegen ihres Kopftuchs beleidigt und angreift. Ein Gerichtsverfahren wird eingeleitet, aber während der Anhörungen ereignet sich ein Vorfall, der das Leben der Familie komplett verändert. (Quelle: Filmfest München)

 
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen