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Weil die Produktionsfirma mit seiner Vision nicht einverstanden ist, klaut ein psychisch labiler Filmemacher den Rohschnitt. Michel Gondry macht aus dem Kampf mit der Kreativität einen ermüdend neurotischen Spaß.

The Book of Solutions (2023)

Eine Filmkritik von Sebastian Seidler

Arme, arme Künstlerseele

Kreativität kann eine Last sein. Das unbeschriebene Blatt Papier oder die erdrückende Leere einer Leinwand, das sind die Abgründe, in die man sich stürzen muss. Wann ist eine Arbeit fertig? Könnte nicht jeder Satz und jedes Bild auch ganz anders sein? Gerade der Schnitt eines Films kann so zum endlosen Labyrinth aus Erwartungen und verzögerten Entscheidungen werden. Künstler*In zu sein, das bedeutet auch, in völliger Überzeugung eine Form zu setzen: Es muss so sein. Nicht anders. Man könnte wohlwollend sein, und den neuen Film des französischen Querkopfs Michel Gondry auf diese Kernaussage runterbrechen. Doch verliert sich „Book of Solutions“ in einem Feuerwerk aus neurotischen Einfällen, während die dunkle Seite der Kreativität in den Hintergrund gerät.

Filmemacher Marc (Pierre Niney) muss zu Plan B übergeben. Den Produzenten ist die Schnittfassung seines neuen Films zu grau und zu pessimistisch. Das will doch niemand sehen! Kurzerhand packt er mit seinem Team die Festplatte mit dem Material und das gesamte Schnitt-Equipment zusammen – sie klauen das Werk. Bei der Tante auf dem Land will man sich einschließen und ein Meisterwerk zu Ende bringen, das die geleckten Menschen in ihren Businessanzügen ohnehin nicht verstehen würden.

Marc will sich befreien, einen kreativen Rundumschlag wagen. Deshalb schüttet er auch gleich seine Psychopharmaka in die Toilette. Tante Denise (Françoise Lebrun) warnt ihn noch vor dem heftigen Cold Turkey – ohne Erfolg. Der verunsicherte Filmemacher dreht vollkommen frei, verliert sich in Paranoia, Selbstzweifel und neurotischer Beschäftigung. Er weigert sich, seinen eigenen Film zu schauen, flüchtet sich in allerhand kreative Nebenschauplätze und arbeitet schließlich am titelgebenden Buch der Lösungen. Darin notiert er manifesthafte Sätze über das Künstlersein: Einfach anfangen, nicht auf andere hören. Oder: das Auto nur noch im zweiten Gang fahren, damit weniger Unfälle passieren. Was das eine mit dem anderen zu tun hat? Nichts. Der Verstand wandert.

Damit treibt er seine treuen Weggefährten an den Rand des Wahnsinns. Lange versuchen die geduldige und scharfzüngige Editorin Charlotte (Blanche Gardin) und seine Assistentin Sylvia (Frankie Wallach), ihren Regisseur wieder auf die Spur zu bringen. Marc allerdings macht, was er will, wirft jeden Tag das Konzept über den Haufen, baut im Schuppen einen Van zu einem mobilen Schnittstudio um, das mit Lenkrad und Gaspedal gesteuert werden kann. Oder er zimmert einen Stuhl: Ein Mann sei erst dann ein echter Mann, wenn er einmal in seinem Leben einen Stuhl gebaut hat. Und der Verstand wandert weiter.

Mögen diese Akte der Prokrastination schon schwer auszuhalten sein, brüllt und zetert Marc, stellt unmögliche Anforderungen an seine Vertrauten, die auch mitten in der Nacht parat stehen müssen. Kurz: Dieser Mensch wird zu einer Belastung für sein Umfeld. Die Zeit verstreicht, die Konflikte nehmen zu und das ganze Projekt droht, ein Desaster zu werden.

Selbstverständlich ist das mitunter zum Brüllen komisch. Vor allem, weil Gondry das macht, was er immer macht: absurd niedliche Set-Pieces aus Alltagsgegenständen entwerfen und die medialen Formen des Films spielerisch durcheinanderbringen. Das zeichnete bereits den traumwandlerischen Liebesfilms Science of Sleep oder den Videothekenspaß Abgedreht aus. So hat Marc die Idee, seinen Film in der Mitte zu teilen und einen kindlichen Cartoon über einen Hund, der einen Friseursalon eröffnet einzufügen. Dieser kleine Film wird auch in voller Länger gezeigt. In diesen Momenten kommt man nicht umhin, den Film lieben zu wollen, für seinen Anarchismus und seine freie Form.

Auch die Dialoge sind von einem trockenen Wortwitz durchzogen, der einem unweigerlich ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Mit welch aberwitzigen Regeln sich Marc ablenkt, nur um sich nicht seiner eigenen Kreativität oder seiner Blockade zu stellen. Eine Sache muss auch einmal zu Ende gebracht werden – das zeugt in seiner Feier des Machens von einem tiefsitzenden Humanismus. Und doch will sich das alles nicht zusammenfügen, weil ein grotesk narzisstischer Unterton den Film durchzieht.

Marc ist schlichtweg übergriffig. Er verhält sich despotisch, fordernd und bis in die letzte Geste hinein narzisstisch. Das wäre okay, wenn der Film dies irgendwann auch als Problem thematisieren würde. Nur in einer Szene, als er erneut Dinge gegen die Wand wirft, flüchtet Sylvia mit den Worten, er mache ihr Angst. Von großer Ambivalenz zeugt Book of Solutions in dieser Hinsicht nicht. Marc ist der typische kauzig-nervige Held eines Gondry-Films, für den wahnsinnig viel Verständnis aufgebracht wird. Schließlich geht es um die Kunst. Da sind sicherlich viele Erfahrungen von Gondry selbst eingeflossen, der häufig mit seinen Produzenten ob der Kosten für seine Filme über Kreuz liegt. Wenn dann noch eine völlig unmotivierte Liebesgeschichte eingestreut wird und sich eine Frau findet, die sich um die gepeinigte Künstlerseele kümmert, zerfällt der Film vollends. Eine derart naive Haltung zum Künstlersein sollte es heute so nicht mehr geben.

Gesehen auf dem Film Festival Cologne 2023.

The Book of Solutions (2023)

Die Tragikomödie stellt einen Regisseur in den Mittelpunkt, der unter einer kreativen Blockade leidet.

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