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Warum nur leben wir in einer unsicheren Welt voller Hass und Gewalt? Dokumentarfilmerin Greta Stocklassa sucht eine neue Antwort auf diese altbekannte Frage im Irakkrieg 2003 und spricht mit Hans Blix, dem damaligen Top-UN-Vermittler. Hätte er die Bomben stoppen können?

Blix, Not Bombs (2023)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Fake statt Fakten

In Zeiten wie diesen kann es erfrischend sein, sich mit einem Optimisten zu treffen. Der schwedische Ex-Außenminister und langjährige UN-Diplomat Dr. Hans Blix ist so einer. Er schreibt gerade an einem Buch mit dem Arbeitstitel „Abschied vom Krieg“, als die tschechisch-schwedische Dokumentarfilmerin Greta Stocklassa ihn besucht. Seine These: Die Zeit der Überfälle auf fremde Länder neigt sich, global und über längere Zeiträume betrachtet, dem Ende zu. Russland sei eine Ausnahme. Aber nicht um den Angriffskrieg gegen die Ukraine geht es primär in der zweiten Arbeit der jungen Filmemacherin (Jahrgang 1993), sondern um etwas, das sich vor kurzem ohne großes Echo zum 20. Mal jährte: der Krieg gegen den Irak. Greta Stocklassa hat das Gefühl, dass damals schon etwas schief lief, das für das heutige Chaos und die Krisen der Welt verantwortlich gemacht werden kann.

So stellt man sich einen Musterschweden vor: Hans Blix, inzwischen 94, lebt in einem bescheidenen Wohnblock, füttert Vögel und ist freundlich, tolerant und zugewandt gegenüber jedermann. So lernte ihn die Welt auch 20 Jahre zuvor kennen, als Chef der UN-Kommission, die im Irak nach Massenvernichtungswaffen suchte und keine fand. Blix galt damals als angesehener Vermittler, der immer dann gerufen wurde, wenn die Welt in Flammen stand. Doch George W. Bush, der damalige US-Präsident, scherte sich nicht um die Fakten, diskreditierte die UN-Inspekteure und zog ohne Rechtfertigung und ohne UN-Mandat in den „Krieg gegen den Terror“, wie er es nannte, als eine Art Rache für 9/11, den Anschlag auf die Zwillingstürme in New York 2001. 

Der Film zeichnet den Konflikt mit reichlich Archivmaterial und emotionalisierendem Soundtrack spannend nach und zählt die Tage bis zum Beginn der Invasion herunter. Warum sich damit heute noch einmal beschäftigen? Weil die Regisseurin eine Hypothese formuliert, die gewagt scheint, aber Stoff zum angeregten Nachdenken liefert: Trug der Krieg nicht zum Entstehen des sogenannten „Islamischen Staates“, dann zur Flüchtlingswelle und zum Erstarken des Rechtspopulismus bei? Und somit zu dem Fakt, dass jemand wie Greta Stocklass in eine friedliche Zeit hineingeboren wurde, nämlich in die 1990er nach dem Ende des Kalten Krieges, aber heute in einer Welt voller Hass und Gewalt leben muss? Von Hans Blix, der 2003 alle wichtigen Akteure traf, erhofft sie sich Aufschluss.

Ihr Film ist folgerichtig kein Porträt von Hans Blix und keine Heldenverehrung, sondern ein Gespräch, bei dem die Regisseurin immer auch vor der Kamera zu sehen ist und sich offen zu ihrer subjektiven Perspektive bekennt. Zwei Generationen reiben sich hier aneinander: der geschliffene Diplomat mit höflichen Umgangsformen und die junge Frau, die zum Moralisieren neigt und so rigoros auf die Stimme des Gewissens pocht wie es mitunter ihre Namensschwester Greta Thunberg tut. Einmal kommt es sogar zum Clash: Der sonst so sanfte Hans Blix wird laut und beendet das Gespräch, weil die Interviewerin nicht locker lässt in ihrer Unterstellung, der Diplomat hätte 2003 entschiedener Stellung gegen den Krieg beziehen müssen, und die berufsmäßige Sachlichkeit aufgeben. Blix dagegen verweist darauf, dass Parteinahme nicht Teil seines Jobs war. Er habe nur die Fakten geliefert. Daraus hätten die US-Politiker die richtigen Schlüsse ziehen müssen und niemals einen Krieg auf Basis von vagen Vermutungen anzetteln dürfen.

Ist das heute alles noch von Interesse? Erstaunlicherweise ja, und zwar aus zwei Gründen. Erstens wurde 2003 erstmals etwas in großem Stil und mit ungeheuren Folgen in die Welt gesetzt, was heute immer schlimmer zu werden droht: das Leugnen von Fakten und Fälschen von Sachverhalten, die ins eigene Weltbild passen. Das Jahr ist quasi die Geburtsstunde des Populismus an der Staatsspitze des mächtigsten Landes der Erde. Zweitens fällt es einem wie Schuppen von den Augen, wenn der Film die Parallelen zwischen dem Irak-Krieg und dem Ukraine-Krieg aufzeigt, nicht nur in dem sehenswerten Versprecher, den sich George W. Bush 2022 leistete, als er den Überfall auf die Ukraine geißeln wollte und vom Überfall auf den Irak sprach. Beide Male wurden angebliche Bedrohungen erfunden und in beiden Fällen steigerten sich die Kriegstreiber in Annahmen über die Welt hinein, die nur in ihren Köpfen existieren. Insofern muss man Greta Stocklassa dankbar sein für ihren Ansatz, nicht einfach nur einen sehr interessanten Menschen zu porträtieren. Sondern die Fragen einer jungen Generation von heute zu stellen, wie unbequem auch immer sie sein mögen.

Blix, Not Bombs (2023)

Greta war gerade 8 Jahre alt geworden, als sie den 11. September auf ihrem Fernseher in Stockholm verfolgte. In den folgenden Monaten und Jahren erlebte sie, wie ihr Landsmann, der Diplomat Hans Blix, als Waffeninspektor der UNO zu einem wichtigen Akteur in der globalen Krise wurde. Jetzt, im 21. Jahrhundert der Kriege, der politischen Extreme und Klimakatastrophen, wendet sich Greta an den mittlerweile 94-jährigen Blix, um ihn zu fragen, ob er ihr helfen kann, die Welt zu verstehen. Und hat er genug getan? (Quelle: Cine Global Filmverleih)

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