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In „Die Theorie von Allem“ erzählt Timm Kröger von den unheimlichen Vorkommnissen während eines physikalischen Kongresses in den Bergen – voller Einfallsreichtum und Liebe fürs Kino.

Die Theorie von Allem (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Traumhaftes Kino

Der Begriff des Multiversums ist in der aktuellen Kinolandschaft wohl vor allem mit den Marvel-Produktionen verbunden, in denen sich Superheld:innen durch Parallelwelten bewegen. Doch was wäre, wenn statt Gestalten wie Doctor Strange und Spider-Man die Figuren aus einem alten deutschen Bergfilm, einem Film noir, einem klassischen Thriller, einem übersinnlichen Gruselfilm oder einem Nouvelle-Vague-Beitrag mit der Tatsache konfrontiert werden, dass mit jeder Entscheidung, die getroffen wird, und mit jedem Zufall, der geschieht, eine neue alternative Welt entsteht? Und was wäre, wenn all diese genannten Genres in einem einzigen Film magisch miteinander verschmelzen würden?

Dies zeigt uns der 1985 in Schleswig-Holstein geborene Timm Kröger in seiner neuen Arbeit Die Theorie von Allem, die auf Zerrumpelt Herz (2014), seinen bemerkenswerten Abschlussfilm an der Filmakademie Baden-Württemberg, folgt. Er wirft dabei wiederum nicht einfach beliebig mit Filmzitaten um sich oder flüchtet sich in eine gewollt ironische Attitüde, um vergangene Kinostunden Revue passieren zu lassen, sondern erschafft aus vielen bekannten, originell zusammengeflochtenen Versatzstücken ein sehr innovatives Werk, das sowohl stilvoll als auch verspielt, komplex und überaus unterhaltsam zugleich ist. Ein Film, der selbstbewusst in die Vollen geht – und dabei auf allen Ebenen überzeugt.

Zu Beginn sehen wir eine Hamburger Fernsehshow aus den 1970er Jahren. Der Physiker Johannes Leinert (Jan Bülow) tritt dort auf, um sein Buch über Multiversen vorzustellen. Dies sei keine Science-Fiction-Literatur, keine phantastische Geschichte, sondern beruhe auf seinen eigenen Erlebnissen. Als er für seine Aussagen verlacht wird, verlässt er verzweifelt das Studio.

Dann springt der Plot um zwölf Jahre zurück in die Schweiz – und wird fortan in großen Schwarzweiß-Bildern und mit wuchtiger Musikuntermalung erzählt. Die Kinder Johnny (Emanuel Waldburg-Zeil) und Susi (Vivienne Bayley) machen während eines dramatischen Gewitters in den Alpen eine furchterregende Entdeckung. Doch worum es sich dabei handelt, erfahren wir erst deutlich später.

Zunächst folgen wir dem 32-jährigen Doktoranden Johannes, der mit seinem Doktorvater Julius Strathen (Hanns Zischler) zu einem physikalischen Kongress ins Berghotel Esplanade reist. Dort begegnet er Strathens Ex-Kommilitonen Prof. Heinrich Blumberg (Gottfried Breitfuß) und der mysteriösen Pianistin Karin Hönig (Olivia Ross). Da sich der angekündigte Vortrag zur Quantenmechanik eines iranischen Wissenschaftlers verzögert, verbringen die Gäste ihre Zeit mit Dinnerkonversationen und Ausflügen auf die Skipiste.

Alsbald nehmen die Dinge aber eine fatale Wendung. Es kommt zu einem schauderhaften Todesfall, möglicherweise gar einem Mord, der zwei Kommissare (David Bennent und Philippe Graber) auf den Plan ruft. Johannes gelangt derweil mehr und mehr zur Einsicht, dass unter dem Berg etwas Bedrohliches passiert – und dass neben einer Gruppe von Männern mit Hut auch Karin etwas damit zu tun haben könnte.

Einige Elemente des Drehbuchs, das Kröger gemeinsam mit Roderick Warich verfasst hat, würden durchaus dazu einladen, das Ganze eher trashig in Szene zu setzen. Klugerweise demonstriert uns Kröger in einem witzigen Moment gegen Ende, wie eine solche Umsetzung aussehen könnte. Die Kunst von Die Theorie von Allem liegt indes unter anderem darin, dass der Film bei aller spürbaren Lust am Pathos sowie an herrlich altmodischen, minimalistischen Effekten und am Hantieren mit Klischees eine wirklich spannende und tiefgründige Story mit interessanten Figuren und Konflikten bietet.

Der Regisseur rekurriert nicht nur auf die Suspense-Mittel von Alfred Hitchcock, etwa bei einer Skifahrt, die an Ich kämpfe um dich aka Spellbound (1945) denken lässt, sondern setzt diese ebenso virtuos ein, wie es der Master himself zu tun vermochte. Sein Film solle „sich anfühlen wie ein Traum“, meint Kröger – und so wirken auch die zahlreichen Anspielungen auf Orson Welles oder François Truffaut nicht wie bemüht-akkurate Nachstellungen, sondern wie halb erinnerte audiovisuelle Eindrücke, die sich ins Gedächtnis eingeschrieben haben. Eine organische Vertrautheit mit Bildern und Klängen, kein posenhaftes Picture- und Sound-Dropping bestimmt die Kameraarbeit von Roland Stuprich und den Score von Diego Ramos Rodríguez, der an die Kompositionen von Bernard Herrmann gemahnt und entscheidend zur Atmosphäre beiträgt.

Statt internationale Klassiker der Kinohistorie zu kopieren, verankert Kröger die Biografien und Traumata seiner Figuren zudem stimmig in der deutschen Geschichte. Mit seinen Verweisen auf die Vergangenheit, seinen psychologischen Metaphern, seiner kreativen Gestaltung und seiner Besetzung, die im perfekten Einklang mit dem besonderen Tonfall der Erzählung agiert, erweist sich Die Theorie von Allem als stichhaltiger Beweis für die funkelnde Lebendigkeit des (deutschen) Kinos.

Gesehen bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig.

Die Theorie von Allem (2023)

1962. Ein physikalischer Kongress in den Alpen. Ein iranischer Gast. Eine geheimnisvolle Pianistin. Eine bizarre Wolkenformation am Himmel und ein dröhnendes Geheimnis unter dem Berg. (Quelle: ÖFI)

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Meinungen

Michi · 15.04.2024

Hochgelobtes Kino, welches niemand sehen will!
Wieso gilt hierzulande als große Kunst, was niemand wirklich will? Selbstbeweihräucherung der Kunstszene.
Ist das Kunst oder kann es weg?
Kann weg!

Valanice · 04.12.2023

Eigentlich hätte der Plott ja Potential gehabt. Aber so gelang es den Filmemachern ein eigentlich interessantes und spannendes Thema ohne jede Spannung oder irgendetwas, was den Film anziehend gemacht hätte auf die Leinwand zu bringen. Die Story war sehr vorhersehbar, nachdem das Thema klar war.

Dass dabei die eigentliche Geschichte und deren Auflösung im Dunkel bleibt sei verziehen, das habe ich schon verstanden. Meine 31jährige Tochter dagegen nicht - ich habe es ihr dann erklärt, daraus folgte dann ein interessantes Gespräch, das ohne den Film, er wird dadurch nicht weniger grässlich, nicht möglich gewesen wäre.

Sidney Redstreet · 01.12.2023

Der Film ist zäh, überlang und selbstverliebt. Gelegentlich werden Assoziationen an Filme von David Lynch geweckt aber seine Filme haben eine Handlung, dieser kaum.

Katinka · 08.11.2023

Anfangs noch ok, der Film ist kaum zum aushalten, grauenhaft, wäre das Kino nicht so dunkel gewesen, wäre ich raus gegangen. Völlig psycho ohne Zusammenhang, wirklich schade um die Zeit.

Gerhard · 06.11.2023

Nicht nur dass die Bildqualität miserabel ist - nein, auch die Filmmusik ist extrem nervig und völlig unpassend. Ich war mehrmals kurz davor, den Saal zu verlassen. Der Film löst die Handlung nicht auf und lässt das Publikum ratlos zurück. Er ist ein Musterbeispiel dafür, wie Filme nicht sein sollten. Weitere Filme von Timm Kröger tue ich mir lieber nicht an.

Maria Magdalena Frahammet · 04.11.2023

Super Film