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In „LasVegas“ schickt Kolja Malik seinen Helden Tristan auf einen Trip zwischen Traum und Wirklichkeit, beflügelt von einer unkonventionellen Liebe.

LasVegas (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Moderne Tragödie

„Stella! Siegfried! Brunhild!“, brüllt Sunny (Daniel Roth) im strömenden Regen dem davoneilenden Tristan (Tim-Fabian Hoffmann) hinterher. In diesem dramatischen Ausruf ist bereits vieles von dem enthalten, was Kolja Maliks „LasVegas“ im Kern ausmacht. Zum einen der Bezug auf die Nibelungensage und auf Tennessee Williams’ Theaterstück „Endstation Sehnsucht“ (1947) beziehungsweise auf dessen berühmte Leinwandadaption von Elia Kazan – und zum anderen ein fließender Übergang der Geschlechter.

Mit seinem Namen Tristan ist der Protagonist schon tief im Reich der tragischen Stoffe verwurzelt. Tristan von Lossberg – ein Mann, der so heißt, muss doch zu einem unglücklich Liebenden werden! Als Modedesigner versucht er, sich von seinem strengen Vater Hermann (Thomas Thieme) zu lösen. Sein Hemd ist stets bis zum obersten Knopf geschlossen; eingesperrte Vögel scheinen seine Seelenverwandten zu sein.

Tristans Geschäftspartner Frank (Robert Stadlober) macht Druck. Der Patriarch Hermann äußert sich derweil abfällig über alle weiblichen Mitglieder der Familie, die seit Generationen nur aus „Hysterikerinnen und Neurotikerinnen“ mit „gestörter Wahrnehmung“ bestünden. Ilse (Nastassja Kinski), die Mutter von Tristan, erträgt solche Herabwürdigungen still. Tristans ältere Schwester (Julia Malik) ist seit langer Zeit abwesend; die näheren Umstände sind unklar.

In diese Stimmung aus männlicher Dominanz, Unterdrückung und Verlust tritt Sunny, eine genderfluide Person, die Tristan völlig den Kopf verdreht. LasVegas findet tolle Bilder und Momente, um diese Amour fou in ihrer Wucht zu erfassen. Heimlich durchs Fenster verschwinden, um der aufgezwungenen Pressekonferenz zu entfliehen – let’s do it! Spontan zusammen verreisen, why not? Aber woran erkennt man, ob man in den falschen Flieger gestiegen ist? Ob man dem Käfig entkommen ist oder direkt auf den nächsten zusteuert?

Zuweilen ist LasVegas ein bisschen uneben erzählt und überfrachtet. Wenn das Werk sich in den Krimibereich bewegt und die Konsequenzen von siebenfachem Mord schildert, ist das weniger stark als die wunderbar taumelnde Liebesgeschichte. Doch dieses Überbordende passt durchaus auch zur Haltung des Films. Tragödien entwickeln sich eben nicht ohne Tod und Katastrophen. Malik greift nach dem Großen, hat aber zugleich ein feines Gespür für das Kleine – etwa wenn Tristan und Sunny „in so ’nem Schuppen“ in einer Berliner Nacht Burger essen gehen oder wenn die beiden einen Trip ans Meer mit dem Auto unternehmen und es kurz so wirkt, als seien sie nun tatsächlich an ihrem Sehnsuchtsort Las Vegas angelangt.

Die Inszenierung arbeitet geschickt mit Doppelgänger:innen-Motiven. Besteht eine Verbindung zwischen Tristans Schwester und Sunny? Oder ist das lediglich Projektion? Traum und Wirklichkeit sind irgendwann kaum noch voneinander zu unterscheiden. Sunny hat gelegentlich etwas von einem Manic Pixie Dream Girl, erinnert allerdings doch mehr an Béatrice Dalle in Jean-Jacques Beineix’ Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen (1986) denn an die weiblichen US-Indie-Movie-Love-Interests, die diesen Begriff geprägt haben. Sunny ist für Tristan eine Muse, verhält sich indes deutlich widerständiger, als es Musen gemeinhin tun. Sie will kein „anstrengendes Scheißleben“ – und wer kann ihr das ernsthaft verübeln? An einer Stelle wird der Pop-Hit Big in Japan von Alphaville gespielt; da ist die Freiheit, die sich Tristan und Sunny erhoffen, zum Greifen nah.

Nicht zuletzt durch seine Besetzung ist LasVegas spannendes deutsches Kino, das mehrere Einflüsse vereint. Nastassja Kinski, die unter anderem für Wolfgang Petersen, Paul Schrader und Wim Wenders vor der Kamera agierte, steht für eine Kombination aus Arthouse und internationalem Glamour. Robert Stadlober (Crazy) ist ein wichtiger Teil der wilden Spät-90er und frühen 2000er Jahre. Lana Cooper (Love Steaks), die als Polizistin und Sunnys Ex auftritt, gehört zur German-Mumblecore-Bewegung. Und Tim-Fabian Hoffmann (Desire Will Set You Free) und Daniel Roth sind frische Gesichter, die Lust auf mehr machen.

LasVegas (2023)

Tristan, ein junger und ambitionierter Modedesigner mit bedrückendem Familienhintergrund verliebt sich in die charismatische Herumtreiberin Sunny.  Deren Leben ist schnell und aufregend, aber auch rau und voller dunkler Geheimnisse. Was als wilde Liebesgeschichte beginnt, wird schnell zu einem intensiven Trip zwischen Realität und Traum. 

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