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Amanda Kramer erkundet in „Please Baby Please“ die verborgenen Triebe eines Ehepaares und verdreht dabei lustvoll Geschlechterklischees. Die Provokation bleibt bei dieser Reise in New Yorker Nächte allerdings aus.

Please Baby Please (2022)

Eine Filmkritik von Janick Nolting

Meine Frau, mein Mann und die Leder-Gang

Amanda Kramers Figuren tauchen aus einer anderen Epoche auf. Vorbeiziehender Nebel gibt den Blick auf ein paar Schlägertypen frei, die auf das Scheinwerferlicht warten, um sich in Bewegung zu setzen. Das New York, das die Regisseurin in „Please Baby Please“ inszeniert, ist eine artifizielle Fantasiewelt und subkulturelle Projektion, die aus mehreren Jahrzehnten Filmgeschichte aufersteht. Kramer nutzt sie als Schauplatz für eine Verwandlungsnummer, die einmal mehr von der Schwierigkeit geschlechtlicher Identitätszuschreibungen erzählen will.

Please Baby Please spielt in den 1950ern, dem Jahrzehnt der ikonischen „West Side Story“. An den Musical-Klassiker und seine Verfilmungen erinnern hier noch einige der beklemmenden Zäune, Mauern, ein Pfeifen auf der disharmonischen Tonspur. Und: die eingangs erwähnten Männer, die sich als Gang zusammenrotten und in der Auftaktsequenz Hinterhöfe und Gassen mit ihren Körpern erobern. Über ihren expressiven Auftritt erzählt der Film von der Erschütterung einer Beziehung. 

Da sind Suze (Andrea Riseborough) und Arthur (Harry Melling): Wie angewurzelt stehen die Frischverheirateten nachts vor ihrem Haus in Manhattan und müssen zusehen, wie die dahergelaufene Straßengang einen Mord begeht. Die grausige Begegnung setzt in dem Paar jedoch ungeahnte Gefühle frei. Mann und Frau beginnen, sich dem Untergrund, dem Verborgenen und Verbotenen zu öffnen und über ihr Verständnis von Geschlecht und Begehren nachzudenken.

Amanda Kramers Kunstfertigkeit besteht nun darin, wie verführerisch sie mit all dem Material arbeitet, das die Kulissen ihrer Bilder, aber auch die Körper und Kostüme ihres Ensembles formt. Please Baby Please ist ein Film der Oberflächen und Fassaden. Ein erster begehrender Blickwechsel zwischen Arthur und einem Mitglied der Schlägerbande (Karl Glusman) wird zur Musterung in Nahaufnahme entlang der glänzenden Lederjacke, der eng sitzenden Jeans, der Hand, über die sich weiteres Leder spannt. 

Gerade die Lederkultur nutzt Kramers Film als Ausdruck der unterschwellig brodelnden Gelüste, die das spießige Ehepaar nie auszuleben vermochte – so altbacken, so zeitlos. In grellbunten Traumvisionen baut die Regisseurin Tableaus mit halbnackten Männern, obszönen Gesten, Tänzen, flackernden Lichtern, Seifenblasen. Oder sie drapiert Andrea Riseborough auf dem Bügelbrett – verwandelt das Image der artigen Hausfrau in eine sadomasochistische Sexfantasie. 

In den psychedelisch leuchtenden Räumen von Please Baby Please strebt alles in Richtung einer Auflösung von Stimmungen, Rollen und Normen. Amanda Kramer und ihr Ko-Autor Noel David Taylor entwickeln dabei in loser Szenenstruktur weniger eine stringente Spannungskurve als einen Rahmen für das Entblättern und Auffächern ihrer Hauptfiguren. Aber werden damit tatsächlich noch einmal Grenzen eingerissen? 

Please Baby Please ist, obwohl es permanent um das Ausloten von Trieben und unerfüllter Sexualität geht, ein erstaunlich zahmer, steriler Film geworden. Zu selten wollen denkwürdige, originelle Eindrücke gelingen, die über Referenzen und Anleihen jahrzehntelang ausgeschlachteter queerer Ästhetiken à la Kenneth Anger, Fassbinder und Co. hinausragen. Stattdessen werden auf träge, reichlich geschwätzige Weise Konzepte und Klischees von Männlichkeit und Weiblichkeit ausdiskutiert, als hätte man zum ersten Mal von ihren Abgründen gehört. 

Please Baby Please findet durchaus eine charmante Pointe für die kriselnde Paarbeziehung, wenn aus einer Symbiose einzelne Kacheln werden, die sich zum neuen Bild zusammensetzen – dieser Reiz sei dem Film nicht abgesprochen. Andrea Riseborough, Harry Melling und Karl Glusman gelingt derweil schauspielerisch eine hinreißende Gratwanderung zwischen Exzentrik und Unsicherheit. Und doch gebührt ihnen eigentlich ein wilderer, gewitzterer, schlicht aufregenderer Film. 

Schließlich war queeres Kino in den letzten Jahren schon bedeutend interessanter. Man denke nur an Julia Ducournaus Titane oder The Wild Boys von Bertrand Mandico. Auch das sind Werke, die sich in Traditionen verorten, mit Referenzen arbeiten, aber auf viel radikalere Weise austesten, wie sich ihr theoretischer Subtext in eine wahrlich transgressive, bewusstseinserweiternde Audiovisualität übersetzen lässt.  

Please Baby Please wirkt regelrecht lasch und vor allem trocken im Vergleich, weil sein Aktivismus allzu gehemmt mit dem Exzessiven verfährt. Ist die Provokation solcher Retro-Schauwerte nicht längst vom Mainstream eingeholt? Beliebig und starr erscheint hier das Umkrempeln der heteronormativen Ordnung, weil der spielerische Umgang mit der eigenen (filmischen) Identität wenig Raum für echtes Entdecken zulässt. Please Baby Please greift beflissen nach stereotypen Requisiten, Aktionen und Mustern. Der queere Befreiungsschlag wird so zur berechenbaren Travestie-Show, die sich im Schatten ihrer zahlreichen schillernden Vorreiter versteckt.

Please Baby Please (2022)

Please Baby Please„ folgt dem Bohème-Paar Suze und Arthur. Die Frischverheiraten wirken wie das perfekte bürgerliche Paar aus der Lower East Side in einem surrealen Manhattan der 1950er Jahre. Nachdem sie Zeugen eines Mordes vor ihrem Haus werden, löst das Gesehene in Arthur und Suze weniger Angst als vielmehr sexuelle Gelüste aus. Als sie zur gefährlichen Obsession der gewaltbereiten Greaser-Gang werden, weckt das schlummernde Fragen zur sexuellen Identität des Paares. 

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