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Eine Geschichte, erzählt in Einzelszenen: Beziehung und Trennung, Persönliches und Emotionales entfalten sich in Knochen und Namen, dem fabelhaften Debütfilm von Fabian Stumm.

Knochen und Namen (2023)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Stimmiges Filmmosaik

Verlust, Tod, das Loslassen, darum geht es in Knochen und Namen; oder anders gesagt: um Veränderung, möglichen Neuanfang. Dies wird im Film ganz explizit gesagt, und das Tolle ist, dass diese Aussagen ganz offen versteckt werden. Man bemerkt sie nicht, denn Fabian Stumms Langfilmdebüt ist alles andere als ein Thesen- und Botschaftsfilm, vielmehr eine höchst gelungene Spielerei mit den Formalien des Filmemachens und mit den Emotionen, die Kino erzeugen kann.

Aus einzelnen Szenen ergibt sich die Handlung, facettenartig setzt sich die Geschichte rund um Boris (Fabian Stumm) zusammen, der sich als Schauspieler im Probeprozess für ein Beziehungsdrama befindet und bei dem es in der Beziehung zu Jonathan (Knut Berger) mehr als knirscht. Jede Szene steht für sich, oft mit statischer Kamera aufgenommen, oft vor hellem Hintergrund in aufgeräumter Umgebung, so klar und einfach, dass es fast gekünstelt wirkt – aber dennoch irgendwo real ist, stilisiert für das Kamera- und Zuschauerauge.

Diese Miniaturen, die nicht aufeinander aufbauen, sondern in der Gesamtschau den Film ausmachen, sind teils sketchartig witzig, inklusive Pointe, teils schlaglichtartige Alltagsschilderungen, dann wieder tief emotionale Seelenerkundungen. Langsam baut sich dem Zuschauer diese Welt zusammen, in der Boris und Jonathan über Maria Schell räsonieren, die für den einen rührselig, für den anderen rührend spielt in Käutners Die letzte Brücke, in der im Probeprozess für eine französische Regisseurin (Marie-Lou Sellem) Emotion herausgeschält wird, in einer Film-im Film-Story um einen Mann, der zwischen Ehefrau und jungem Burschen liebesbegierig hin- und hergerissen wird. Wir sehen Interviews, die Jonathan für sein Romanprojekt führt. Es geht um Sterben und Trauer. Und Anneke Kim Sarnau hat eine derart intensive Szene, wie man sie lange nicht mehr in einem Film gesehen hat: Sie erzählt einfach nur, aber wie hier innere Zerrissenheit, innere Traurigkeit in diesem kurzen, prägnanten Auftritt sich offenbart …

Fabian Stumm, Regisseur und Drehbuchautor, spielt die Hauptrolle eines Schauspielers – Stumm ist selbst von Haus aus Schauspieler, und es geht im Subtext auch immer darum, wie persönlich die Dinge sind, für die wir künstlerischen Ausdruck finden, und vielleicht auch wie autobiografisch. Meint Jonathan mit dem Progagonistenpaar in seinem Roman sich selbst und seinen Lebenspartner? Hat die Regisseurin Jeanne in ihrem Film ihr eigenes Erleben verarbeitet, das sie nun durch die Arbeit mit drei Schauspielern wieder vergegenwärtigt?

Eine besondere Rolle im Film spielt Josie, die Nichte von Jonathan, ein kleiner Tunichtgut, die Telefonpranks veranstaltet und im Drogeriemarkt klaut – und die ein unglaublich liebenswertes Mädchen ist, die in kindlicher Unschuld alle Verbote und gutes Benehmen hinter sich lässt und damit die Erwachsenen austestet. Die das Manipulieren spielt, wenn sie am Telefon im Singlechat einem hoffnungsvollen Anbändel-Aspiranten die Möglichkeit auf ein heißes Date vorgaukelt – aber das tut sie nicht aus Bösartigkeit, nicht einmal aus Ungezogenheit, sondern als Prozess, und vielleicht als Spiegelung der Erwachsenenwelt, in der immer zu viel ungesagt bleibt.

Strukturiert werden die Episoden durch klassische Musik, die uns mit voller Orchesterwucht um die Ohren gehauen wird. Auch hier zeigt sich der Wille und das Können von Stumm, aus Einzelteilen, die untergründig miteinander verwachsen sind, ein stimmiges Ganzes zu kreieren. Ein Beerdigungsunternehmer (Godehard Giese) bringt es, im Grunde ganz Barock, auf den Punkt: Was ist der Mensch? Eigentlich nur Namen und Knochen.

Knochen und Namen (2023)

„Frag mich doch nicht, wie ich etwas finde, wenn du es gar nicht hören willst!“ „Ich will es doch hören, es stimmt halt nur manchmal nicht.“ Der Schauspieler Boris und der Schriftsteller Jonathan sind ein Paar. Doch ihre Beziehung ist an einem Punkt angekommen, an dem sie die gemeinsamen Abende auch getrennt verbringen könnten: Der eine liegt im Bett und liest Drehbücher, der andere arbeitet im Nebenraum am Schreibtisch. Während Boris sich immer tiefer in die Proben zu einem neuen Film mit einer ambitionierten Regisseurin wühlt und dabei reale und fiktive Charaktere zu vermischen beginnt, versucht Jonathan, seine Stimme als Schriftsteller neu zu definieren. Durch diese Tage des Ringens um Distanz, Nähe, Vertrauen, Verlangen und Verlustangst geistert, wie Puck bei Shakespeare, Boris’ kleine Nichte Josie und testet ihre Grenzen aus.

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