Log Line

Der portugiesische Autorenfilmer João Canijo erzählt in „Mal Viver“ auf ebenso spröde wie formal konsequente Weise von vererbten Traumata und dem Schrecken einer dysfunktionalen Familie.

Bad Living (2023)

Eine Filmkritik von Janick Nolting

Mütter hassen Töchter, Töchter hassen Mütter

Von Urlaubsstimmung ist schon längst nichts mehr zu spüren. João Canijo („Sangue do meu sangue“) zeigt einen portugiesischen Hotelkomplex, der die besten Tage offenbar hinter sich hat. Gewisse Routinen werden noch beibehalten. Man richtet die Zimmer her, plant die Speisekarte, ein paar Gäste gehen ein und aus. Zu Beginn von „Bad Living“ wird der Weg um den Swimmingpool gereinigt. Die Kamera beobachtet dabei das Geschehen von oben, blickt in die Umgebung: eine karge Welt, Menschen agieren mechanisch. Eine einzelne Frau liegt im Garten. Wenn schließlich weitere Personen in das Tableau treten und einige Worte mit ihr wechseln, scheint die ohnehin schon triste Stimmung zu gefrieren.

Der Grund dafür ist schnell erkannt: Ein Familienbetrieb blickt seinem Ende entgegen. Mit letzter Kraft versuchen die weiblichen Hauptfiguren, ihr Hotel am Laufen zu halten. Das Klima untereinander ist vergiftet, und ein Trauerfall wirft seine Schatten: Salomé (Madalena Almeida) hat erst vor wenigen Tagen ihrem Vater beim Sterben zusehen müssen. Jetzt gerät sie mit ihrer Mutter Piedade (Anabela Moreira) aneinander, die ihr einfach keine Stütze sein kann. Für ihr Kind hat sie nur die kalte Schulter übrig. Und Großmutter (Rita Blanco), das Oberhaupt der Sippe, zeigt sich nicht minder streng und abweisend.

Schritt für Schritt legt João Canijo die psychologischen Schichten seiner Figuren frei. Nicht etwa um diese zu therapieren, sondern um zu beobachten, einem Verhalten beizuwohnen. Mit nüchterner Präzision inszeniert er eine zwischenmenschliche Kampfzone, in der sich die Frauen gegenseitig an die Gurgel gehen. Erlösung? Ein Fremdwort in Bad Living. Nicht ein Mal verlässt er das Gelände des Hotelkomplexes, die Kamera bewegt sich in den Szenen nur marginal. Formal teilt er die Fesseln mit seinen Figuren, die nicht aus ihren Ritualen und Problemen ausbrechen können.

Bad Living gelingt dabei trotz Kammerspiel-Charakter ein virtuoses Spiel aus Nähe und Distanz. Trostlose Minen und abschätzige, verletzende Bemerkungen rückt Canijo in erbarmungslosen Großaufnahmen in den Fokus. Die schummrigen Räume scheinen derweil kaum etwas Wohnliches zu besitzen. Ein Treppenaufgang formt sich zum Bild eines tiefen, verschlingenden Strudels. Die Küche leuchtet kränklich grün. Und dann die Wechsel nach draußen: Da schaut die Kamera auf die Fassade. Zimmer reihen sich wie Glaskästen aneinander. Kleine Gefängnisse, in denen jede Figur ihre Kämpfe auszufechten hat. Ein Puppenhaus, in dem sich überall Katastrophen ereignen.

Mütter und Töchter begegnen sich hier über Generationen hinweg in ihrer Unfähigkeit, einander Geborgenheit und Fürsorge zu schenken. Das Trauma und Versagen der einen Generation wird auch das der nächsten sein. Trauern und Bangen um das familiäre Vermächtnis scheinen jede Empathie erstickt zu haben. Das beginnt mit schrägen Komplimenten, Mutter würde einmal eine hübsche alte Frau abgeben, und endet bei Fragen wie: Warum hast du nicht abgetrieben? Lieber nicht existieren als in dieser Hölle einer dysfunktionalen Familie.

Nun drängt sich durchaus die Frage auf: Warum soll man über außerordentlich zähe zwei Stunden diesem Gezänk beiwohnen? Bad Living liegt weniger am Entwickeln von Handlungen als am Schwelgen in einem Zustand. Er reizt ihn bis zuletzt aus, ist aber eigentlich auf halber Strecke durchschaut. Das birgt irgendwann kaum neue Facetten in der Konstruktion, keine neuen Spielereien und Versuche in der eigentlich klug gewählten Form und Ästhetik. Stattdessen: nur noch mehr Schmerz, noch mehr Trostlosigkeit und dann der finale Schlag in die Magengrube. Bad Living zeigt die Entstehung einer Heimsuchung, die nie mehr aus dem Gedächtnis und Gewissen ihrer Zeuginnen verschwinden wird.

Es ist die Studie eines Systems, dem schon zu lange keine Selbstreflexion mehr gelungen ist, um noch etwas an der ganzen Misere ändern zu können. Einmal geschieht ein Gewaltausbruch vor einem Spiegel. Ein Bild entsteht an der Wand, das die Kämpfenden jedoch nicht wahrnehmen können und wollen. Das ist treffend beobachtet! Es könnte als Gesellschaftsdiagnose noch viel weiter abstrahiert werden, hängt aber fatalistisch und pessimistisch in der beschriebenen Familienaufstellung fest.

Spannend und unberechenbar bleibt allein die Verflechtung innerer Zustände mit ihrem Schauplatz. Wenn Gäste im Hotel ankommen, muss das Chaos verborgen, die Maskerade touristischer Idylle gewahrt werden. Wo man im Privaten unfähig ist, anderen eine schöne Zeit zu bereiten, versucht man es wenigstens im Beruf. Oder ist die Illusion dessen nicht ohnehin geplatzt? Auch unter den Gästen scheint einiges im Argen zu liegen. Das Unheil hier setzt sich dort in ähnlicher Gestalt fort. Wie passend, dass ein filmisches Gegenstück zu Bad Living/Mal Viver von João Canijo bereits existiert. Sein konsequent gespiegelter Name: Living Bad/Viver Mal.

Bad Living (2023)

Fünf Frauen aus mehreren Generationen einer Familie haben an der Nordküste Portugals ein Hotel geerbt und kämpfen darum, es am Leben zu erhalten. Ein alter und kaum aufzulösender Konflikt schwelt, viele Gespräche wurden aufgeschoben, es bleibt noch viel zu sagen. Es geht um Töchter und Mütter, um Liebe, die sich in Bitterkeit verwandelte. Als eine Enkelin unerwartet eintrifft, kommen aufgeschobene Abneigung und verdeckter Hass ans Tageslicht.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen