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Auf seiner Flucht landet der Weißrusse Aleksei bei der Fremdenlegion und erhält dort die Chance, noch einmal neu anzufangen. Doch der Identitätswechsel hat seinen Preis.

Disco Boy (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Fremde(n) Legionäre

Eine Reise als Suche nach der eigenen Identität: Mit einer Gruppe von belarussischen Fußballfans hat sich Aleksej (Franz Rogowski) zusammen mit seinem Freund Mikhail in einem Bus nach Polen aufgemacht, wo vorgeblich ein Fußballspiel besucht werden soll. Die beiden Technoheads aber haben ganz andere heimliche Pläne: Sie wollen illegal weiter nach Frankreich reisen, ins Land des Bordeaux und von La vache qui rit. Wie ein Ritual wiederholen sie die für sie exotisch und verheißungsvoll klingenden Namen, die ein besseres Leben versprechen. Doch ihr Plan geht schief – beim Versuch, die Grenze zwischen Polen und Deutschland heimlich zu überqueren, ertrinkt Mikhail im Fluss und Aleksej muss seine Reise alleine fortführen. Ohne Papiere ist er nun zu einem Namenlosen geworden, dem es schließlich doch gelingt, sich nach Frankreich durchzuschlagen.

Dort angekommen, bleiben ihm als sans papiers nicht viele Möglichkeiten und zurück in die Heimat will er auch nicht. Bis sich ihm eine neue Möglichkeit erschließt, für sich eine neue Perspektive zu entwickeln – die Frendenlegion. Fünf Jahre muss er in der Legion durchhalten, dann winkt ihm, dem „Illegalen“, die französische Staatsbürgerschaft und ein neuer französischer Allerweltsname, mit dem er vielleicht noch einmal sein Leben auf null setzen und einen Neunanfang wagen kann, fernab der tristen Heimat und mit ganz neuen Möglichkeiten. Andernfalls, so sein Ausbilder, bliebe er ein Niemand, ein Gespenst. Aleksej ahnt freilich nicht, dass dies genau sein Schicksal ist, das sich aber auf andere Weise erfüllen wird, als es ihm prophezeit wurde.

Nach erfolgreicher Ausbildung wird Aleksej mit seinem Kameraden auf eine Mission nach Nigeria entsandt wird. Dort kommt es gleich zu zwei Ereignissen, die sein Leben grundlegend verändern werden – eine Nicht-Tat, als die Fremdenlegionäre einem überfallenen Dorf die Hilfe verweigern, weil sie ihre Mission zu erfüllen haben und ein Kampf mit dem Anführer der örtlichen Widerstandsbewegung, der sich gegen die Ausbeutung der Region durch ausländische Energiekonzerne zur Wehr setzt. In einem mit Wärmebildkameras aufgenommenen und dadurch fast abstrakt wirkenden Kampf tötet Aleksej den Mann und lädt dadurch schwere Schuld auf sich. Eine Schuld, die er fortan nicht mehr loswird und die ihn überallhin verfolgt.

Immer wieder wechselt Giacomo Abbruzzeses Film die Richtung und damit auch die Tonalität: Als sozialrealistische Fluchtgeschichte beginnend, wird Disco Boy zu einem Film über die Ausbildung der Legionäre, erinnert dann an Francis Ford Coppolas fiebrigen Dschungeltrip Apocalypse Now, wird in einigen Momenten zu einem völlig abstrakten Film, in dem mal Lichtpunkte und dann biomorphe Formen zu sehen sind, die an Lavaströme erinnern, verändert dann kurzerhand die Erzählperspektive und entführt uns in die Welt der Widerstandskämpfer, um anschließend nach Frankreich und in Aleksejs Leben zurückzukehren, das sich am Ende auf wunderbare Weise mit dem Schicksal des von ihm Getöteten und dessen Schwester verbindet. In einem Nachtclub in Paris, in dem Akesej regelmäßig verkehrt und wo er stets in Gedenken an seinen ertrunkenen Freund Mikhail zwei Gläser Bordeaux bestellt, aber nur eines trinkt, synchronisieren sich sein Leben und das der ihm unbekannten Schwester des Widerstandskämpfers in einem gemeinsamen Tanz auf der Bühne, bei dem sein Körper wie von fremden geistern besessen zu sein scheint. Die Geister, die er mit seiner Tat beschwor, lassen ihn nicht mehr los.

 

Disco Boy (2023)

Erzählt werden die verflochtenen Geschichten eines Mitglieds der französischen Fremdenlegion und eines Mannes in einem Dorf im Nigerdelta. Beide kämpfen gegen Ölfirmen an, die französische Staatsangehörige entführen

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