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In „20,000 Species of Bees“ erzählt Estibaliz Urresola Solaguren mit Feingefühl von der Identitätssuche eines trans Kindes während eines Familientreffens.

20.000 Arten von Bienen (2023)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Call Me By My Chosen Name

Die achtjährige Hauptfigur aus „20,000 Species of Bees“, dem Langfilmdebüt der baskischen Drehbuchautorin und Regisseurin Estibaliz Urresola Solaguren, hat sich zu Beginn des Plots noch nicht entschieden, welchen Namen sie tragen möchte. Mit ihrem männlich konnotierten Geburtsnamen kann sie sich nicht identifizieren; ihr weiblich anmutender Spitzname dient gelegentlich dazu, von einem neuen Umfeld als Mädchen wahrgenommen zu werden, ist jedoch – etwa wenn die große Schwester ihn etwas abschätzig verwendet – auch noch nicht gänzlich richtig. Daher soll auch in diesem Text zunächst einfach von „der Hauptfigur“ die Rede sein.

Die Hauptfigur (interpretiert von Sofía Otero) reist mit ihrer Mutter Ane (Patricia López Arnaiz) und ihren beiden älteren Geschwistern in Anes katalanisches Heimatdorf, wo die Taufe eines neuen Familienmitglieds stattfinden soll. Im Gegensatz zum deutschen Beitrag Oskars Kleid (2022), der sich ebenfalls mit einem trans Kind befasste, allerdings dessen Vater ins Zentrum rückte, lässt sich 20,000 Species of Bees auf die kindliche Perspektive ein. Zudem setzt das Werk in der Behandlung seines Sujets nicht auf klamaukige oder betont dramatisch konstruierte Konfrontationen, sondern deutet subtil die Herausforderungen an, die ein trans Kind zusätzlich zu den üblichen Hürden des Heranwachsens zu bewältigen hat.

Rasch werden die langen Haare der Hauptfigur bemerkt, die für viele nicht zum Bild eines achtjährigen Jungen passen, das einige Verwandte auf die Hauptfigur projizieren. Es sei Zeit für eine „Jungenfrisur“, meint etwa Anes Mutter Lita (Itziar Lazkano), die ihrer Tochter in einer späteren Diskussion dazu rät, dem Kind Grenzen zu setzen, da es „verwirrt“ sei. In den Positionen, die die Erwachsenen vertreten, erweist sich das Skript als differenziert. So erscheint etwa Anes Umgang mit der Identitätssuche ihres Kindes anfangs durchaus aufgeschlossen. Es gebe weder Jungs- noch Mädchenkram, sagt Ane. Sie drängt ihr Kind in keine Rolle. Es zeigt sich aber auch, dass diese vermeintliche Offenheit ein Weg von Ane ist, um sich nicht weiter mit dem Thema beschäftigen zu müssen.

Anders geht wiederum Lourdes (Ane Gabarain), die resolute Großtante der Hauptfigur, mit dem Ganzen um. Die leidenschaftliche Imkerin hört dem Kind zu, verwendet als Erste bewusst weibliche Pronomen und begegnet der Hauptfigur mit Empathie und Humor. In den gemeinsamen Szenen zwischen der Hauptfigur und Lourdes hat der Film seine stärksten Momente. Schön sind auch die Passagen, in denen die Solidarität unter Kindern eingefangen wird – etwa mit dem Bruder oder mit einem Mädchen aus dem Dorf, das ziemlich gelassen reagiert, als es die Hauptfigur beim Baden in der Natur nackt sieht. An Orten wie dem Schwimmbad oder dem Shoppingcenter, mit Toiletten, Umkleiden und Abteilungen, die nach Geschlecht getrennt sind, ist die Freiheit, die die Hauptfigur in den Wäldern erlebt, derweil noch nicht angekommen.

Wenn sie einmal groß sei, wolle sie nicht so werden wie ihr Papa Gorka (Martxelo Rubio), gesteht die Hauptfigur ihrer Mutter bei einer abendlichen Unterhaltung. Und der Film macht deutlich: Das muss sie auch nicht. Letztlich findet sie einen Namen, mit dem sie sich wohlfühlt: Lucia. Wie die Heilige Lucia, deren Name „Die Leuchtende“ bedeutet.

20.000 Arten von Bienen (2023)

Der 8-jährige Cocó kann den Erwartungen seiner Umwelt nicht entsprechen und versteht nicht warum. Jeder besteht darauf, ihn Aitor zu nennen. Doch Cocó identifiziert sich weder mit seinem Geburtsnamen, noch erkennt er sich in den Vorstellungen anderer wieder. Währenddessen stürzt seine Mutter Ane in eine berufliche und emotionale Krise. In den Ferien beschließt sie, mit den drei Kindern ihre eigene Mutter zu besuchen. Cocó erkennt, dass Großmutter Lita und Tante Lourdes ihr Geld mit der Imkerei und Honigerzeugung verdienen. Das Kind erkundet seine Identität an der Seite der Frauen, die gleichzeitig über ihr eigenes Leben und ihre eigenen Wünsche nachdenken. Dieser Sommer verändert das Leben von Ane, Lita und Lourdes. Die drei Frauen aus unterschiedlichen Generationen stellen sich ihren Zweifeln und Ängsten. Auch Ane beginnt endlich ehrlich zu sich selbst zu sein.

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