Key House Mirror

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

(Zu) Späte Liebe

Dieser Film, erzählt Michael Noer, werde seine Karriere in den USA ruinieren. Darauf hat ihn sein amerikanischer Agent hingewiesen, als er das Konzept für seinen neuen Film gelesen hatte. Tatsächlich ist Noer bisher für seine Dokumentarfilme und insbesondere seine exzellenten Kriminalfilme R — Gnadenlos hinter Gitter und Nordvest bekannt. Doch mit Key House Mirror hat er ein Drama über eine ältere Frau gedreht, die in einem Seniorenheim zu sich selbst findet.
Seit ihr Mann Max (Jens Brenaa) einen mehrfachen Schlaganfall hatte, kann er sich weder alleine waschen, anziehen, bewegen oder sprechen. Deshalb ist Lily (Ghita Nørby) mit ihm in ein Pflegeheim gezogen. Doch inmitten der anderen Bewohner fühlt sie sich nicht wohl. Lily ist zu fit, zu selbständig und versucht zwar ihre Bedürfnisse zugunsten ihres Mannes zurückzustellen, aber sie bleibt allein. Dann zieht eines Tages in das Zimmer gegenüber der Pilot (Sven Wollter) ein. Er ist charmant, flirtet gerne, bricht Regeln und ist ebenfalls agil. Zunehmend fühlt sich Lily zu ihm hingezogen – und findet langsam zum ersten Mal in ihrem Leben den Mut, nach ihren eigenen Bedürfnissen zu leben.

Nach einem Gefängnis (R) und einem Stadtteil von Kopenhagen (Nordvest) begibt sich Michael Noer in Key House Mirror mit einem Pflegeheim abermals in ein geschlossenes Umfeld und taucht dort in den Alltag ein. Mit wenigen, wohl gewählten Bildern, lässt er erkennen, wie die Bewohner dort leben, verdeutlicht zugleich die Beengtheit, die Lily empfindet. Dabei braucht Noer stets nur wenige Bilder, um ganze Gefühlswelten deutlich werden zu lassen. Bei einem Tanzkurs sitzen alle Bewohner im Kreis, sie machen Übungen, doch Lily schaut nur zu, sie macht gute Miene, versucht vorzutäuschen, sie hätte Spaß, während sie neben ihrem Mann sitzt und seine Hand hält. Als der Tanzlehrer sie zu einem Paartanz auffordert, zögert sie. Sie will ihren Mann nicht verlassen. Schon nach wenigen Schritten bricht sie den Tanz ab und bittet die Pflegerinnen ihren Mann aus dem Rollstuhl zu heben und hinzustellen, damit sie sich für einige Sekunden der Illusion hingeben kann, sie könne mit ihm tanzen. In dieser Sequenz wird Lilys gesamte Verlorenheit deutlich. Außerdem zeigt sich wie schwer es ihr fällt, sich in dieser Situation zurechtzufinden. Sie hat ihren Mann so gut wie verloren, zugleich aber wird sie in dem Pflegeheim bei fast jedem Schritt auf dem Gang daran erinnert, dass auch sie nur noch wenige Jahre Zeit hat.

Als Lily den Piloten trifft und sich auf ihn einlässt, lernt sie eine neue Lebensweise kennen. Er ist weltmännisch und charmant, hat viel erlebt und ist leidenschaftlich. An seiner Seite lebt sie abermals auf. Mit zwei wiederkehrenden Momenten zeigt Michael Noer die Missbilligung der anderen Heimbewohner und Lilys sich verändernde Reaktion darauf. Ihm reicht eine Sequenz, um von der komplexen Reaktion von Lilys Tochter auf die neue Liebe ihrer Mutter zu erzählen. Darüber hinaus mehren sich in den Bildern Hinweise, dass auch mit Lily nicht alles in Ordnung ist – und nach ungefähr der Hälfte der Spielzeit erfolgt eine Wende, durch die sich auch die Bedeutung des Titels Key House Mirror offenbart.

Die ökonomische aber dennoch dichte und komplexe Erzählweise ermöglicht, dass Key House Mirror in 95 Minuten von Lily, ihrem bisherigen und gegenwärtigen Leben erzählt. Die Kamera behält stets ihre Perspektive. Dadurch steht ihre Gefühls- und Erlebniswelt im Mittelpunkt. An ihrer Seite erforscht sie die Gänge und Wege in dem Heim, lässt die Enge erkennen, die Lily empfindet, kontrastiert sie mit der Luftigkeit und Weite, wenn Lily das Heim auf Ausflügen verlässt. Außerdem wird ersichtlich, warum das Personal in Pflegeheimen aus Sicht der Bewohner und Angehörigen niemals genug tun kann – wenngleich es in diesem Film äußerst kümmernd ist.

Während die Bewohner in dem Pflegeheim überwiegend tatsächliche Bewohner sind, arbeitet Michael Noer in seinem Film zum ersten Mal mit zwei professionellen Schauspielern in den Hauptrollen. Zwischen Ghita Nørby und Sven Wollter prickelt es. Sie bringen die Gegensätzlichkeit und Anziehungskraft dieses Paares auf die Leinwand.

Nach Silent Heart — Mein Leben gehört mir von Bille August und Liebe von Michael Haneke, ist Key House Mirror ein weiterer Film, der vom Leben im Alter erzählt. Jedoch lässt er sich ganz auf die Welt in einem Pflegeheim ein und stellt explizit die Selbstfindung von Lily in den Vordergrund. Daher geht es in diesem guten Film gleichermaßen um Liebe, Sex und Leidenschaft wie um Krankheit und Tod — und schließlich auch um die finale Erkenntnis, dass man für manche Dinge vielleicht zu alt ist.

Key House Mirror

Dieser Film, erzählt Michael Noer, werde seine Karriere in den USA ruinieren. Darauf hat ihn sein amerikanischer Agent hingewiesen, als er das Konzept für seinen neuen Film gelesen hatte. Tatsächlich ist Noer bisher für seine Dokumentarfilme und insbesondere seine exzellenten Kriminalfilme „R“ und „Nordvest“ bekannt. Doch mit „Key House Mirror“ hat er ein Drama über eine ältere Frau gedreht, die in einem Seniorenheim zu sich selbst findet.
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