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Leidende Künstler sind ein immer wiederkehrender Stoff des Kinos und nicht selten geraten diese Psychogramme zu peinlichen Nabelschauen voller Bedeutsamkeit und Peinlichkeit. Rebecca Millers Film hingegen blickt mit viel mehr Wärme auf die kleinen und großen Macken ihrer Protagonist*innen.

She Came to Me (2023)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Stadtneurotiker*innen

Der New Yorker Opernregisseur Steven Lauddem (Peter Dinklage), ein einst gefeierter Star der Klassikwelt, leidet unter einer heftigen Schaffenskrise und natürlich kommt diese zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, weil sein Auftraggeber sehnsüchtig die Fertigstellung eines neuen Werkes erwartet. An dem lähmenden Zustand seiner Blockade, die nun schon eine Weile anhält, kann auch seine Ehefrau Patricia (Anne Hathaway) nichts ändern — und das, obwohl sie früher einmal Stevens Therapeutin war. Allerdings zeigt sich schnell, dass Patricia mindestens ebenso neurotisch ist wie ihr Ehemann: Sex zwischen den beiden findet nur zu genau festgelegten Wochentagen statt, Ausnahmen von dieser Regel gibt es keine. Dazu passt dann auch ein gewisser religiöser Fanatismus, ausufernde gemeinsame Putzsessions mit der dafür eigentlich angestellten  Magdalena (Joanna Kulig) und der Wunsch Patricias, das weltliche Leben hinter ich zu lassen und ein Leben als Nonne zu führen.

Von seiner Frau auf der Suche nach Ablenkung und Inspiration mit dem Hund außer Haus geschickt, streift Steven ziellos durch die Straßen und landet schließlich  in einer Kneipe, wo er die Bekanntschaft mit der obsessiven Schlepperkapitänin Katrina (Marisa Tomei) macht, eine bekennenden Stalkerin, die zudem dem völlig Fremden schnell eingesteht, süchtig nach Romantik zu sein — genügend Warnzeichen eigentlich, um schnell das Weite zu suchen. Steven allerdings bleibt auf dem Kahn — eine Entscheidung, die sein Leben und sein Schaffen grundlegend verändern wird.

Dies sind allerdings nicht die einzigen Verwicklungen, die die vorwiegend heitere romantische Komödie von Rebecca Miller aufzuweisen hat — und eine davon bringt schließlich erhebliche Dynamik in den Fortgang der Geschichte: Weil sich Stevens Stiefsohn ausgerechnet in die minderjährige Tochter Magdalenas verliebt, rastet Trey, der Vater des Mädchens, völlig aus und will den Jungen wegen angeblicher Verführung Minderjähriger vor Gericht zerren, sodass den beiden verliebten Teenagern nur die Flucht bleibt, bei der Katrina eine wichtige Rolle spielt.

Vielleicht ist es ja ein Zeichen des Aufbruchs nach einer langen Durststrecke des Kinos, dass ein Film wie Rebecca Millers She Came to Me die Berlinale eröffnet. Verspielt und zuweilen etwas überfrachtet, aber mit einer großen Liebe für all die Großstadtneurotiker*innen ausgestattet, atmet der Film den Geist eines unbekümmerten, lebensklugen und versöhnlichen US-Independentkinos, wie es in den letzten Jahren ein wenig aus der Mode gekommen zu sein scheint.

Geschickt verwebt Miller verschiedene Milieus miteinander, konfrontiert Bildungsbürgertum mit Working Class, kombiniert die Auswüchse einer Midlife-Crisis mit Freud und Leid der ersten jungen Liebe, bringt  surreale Operneinschübe, in denen sich Stevens Erlebnisse mit Katrina widerspiegeln, mit dem eigens von Bruce Springsteen für diesen Film geschriebenen Schlusssong zusammen und schafft so nicht allein auf der Ebene des Scores einen ganz eigenen Sound — eine Mischung, die zwar nicht immer, aber im Lauf des Films immer besser funktioniert und die einen lächelnd aus dem Kino entlässt.

She Came to Me (2023)

Komponist Steven Lauddem (Peter Dinklage) hat eine kreative Blockade und ist unfähig, die Partitur für seine große Comeback-Oper zu beenden. Auf das Anraten seiner Ehefrau Patricia (Anne Hathaway), die früher seine Therapeutin war, begibt er sich auf die Suche nach Inspiration. Was er dabei findet, ist viel mehr, als er erwartet und sich je vorgestellt hatte.

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