10 Days in a Madhouse

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Ein Stoff, wie fürs große Kino gemacht: Die erste investigative Journalistin Nellie Bly wird im Jahr 1887 von keinem Geringeren als Joseph Pulitzer angeheuert, um sich undercover in eine psychiatrische Anstalt einweisen zu lassen und von den dortigen desaströsen Zuständen zu berichten.
Was nach einer fiktiven Geschichte klingt, basiert auf den Lebenserinnerungen von Elizabeth Jane Cochran, die unter dem Pseudonym Nellie Bly – im wahrsten Sinne des Wortes — Geschichte schrieb. Gerade mal 23 Jahre ist Nellie (Caroline Barry) alt, und ihr größter Wunsch ist es, Journalistin zu werden. Ende des 19. Jahrhunderts, wo es in den meisten Ländern der Welt Frauen noch nicht gewährt wurde, auf Universitäten zu gehen, geschweige denn, dass man(n) ihnen Intellektualität zutraute, ein fast aussichtloser Wunsch. Pulitzer (Sam Davidow), der Herausgeber der US-amerikanische Zeitung New York World, sieht die permanent lächelnde junge Frau denn auch mit kritischen Augen an. Aber was bleibt ihm anderes übrig: In die New Yorker Frauen-Psychiatrie Blackwell’s Island, die idyllisch im East River gelegen ist, kann er wohl kaum einen Mann einschleusen. Also gibt Nellie vor, verrückt zu sein, und es dauert auch nicht lange, bis sie von rabiaten Polizisten zwangseingeliefert wird. Das gleiche Schicksal teilen hunderte andere Frauen mit ihr, die von ihren Ehemännern bequem abgeschoben werden, oder die im Zweifelsfall tatsächlich krank sind. Auf Blackwell’s Island aber wartet die Hölle auf sie. Das ist natürlich auch der Grund, warum sich Nellie dort die Zustände aus nächster Nähe und inkognito ansehen will. Sie wird darüber berichten (was gleichbedeutend mit der Geburtsstunde einer neuen Art von Journalismus ist) und schreibt nach ihrer Entlassung aus Blackwell’s Island den erfolgreichsten Text, der in der Zeitung von Pulitzer je abgedruckt wurde.

Bis dahin muss Nellie aber zehn endlose Tage durchstehen, die mit fürchterlichen Qualen und Torturen verbunden sind: Die Patientinnen werden mit Laudanum ruhiggestellt (eine Opium-Tinktur), müssen in eiskaltem Wasser baden und tragen trotz frostiger Temperaturen nur leichte, ärmellose Kleider und werden gezwungen, verschimmeltes Brot und weitere ungenießbare Lebensmittel zu essen. Lesen oder andere geistige Beschäftigung ist ihnen untersagt, und falls sie dagegen verstoßen, werden sie körperlich gezüchtigt und gefesselt — auch Vergewaltigungen sind keine Seltenheit — oder kommen zur Strafe in eine Isolationszelle. Im äußersten Fall werden die Patientinnen sogar zu Tode gespritzt. Permanente Begleiter sind dabei Ratten, Kakerlaken und anderes Getier, was munter durch die Zellen krabbelt. Dass Frauen, die bis zu ihrer Einlieferung noch keine psychische Störung oder Erkrankung hatten, spätestens jetzt psychisch auffällig reagieren, scheint kein Wunder zu sein. Nellie stößt dabei oftmals an ihre eigenen Grenzen, zumal der arrogante Anstaltsleiter Dr. Dent (Christopher Lambert) nicht einsichtig ist, dass seinen Patientinnen – allen voran Nellie – eine andere, vor allem adäquatere Behandlung zukommen müsste.

Was hätte nicht alles aus 10 Days in a Madhouse — Undercover in der Psychiatrie gemacht werden können. Dass ein medizin-historischer Stoff spannend und dramaturgisch großartig umgesetzt werden kann, hat nicht zuletzt die ARD-Produktion Charité von Sönke Wortmann bewiesen. Auch mit dem großen Zugtier Christopher Lambert hätte Regisseur Timothy Hines so einiges reißen können. Aber es gelingt Hines leider nicht, diesen Stoff spannend zu inszenieren oder umzusetzen. Das fängt damit an, dass die optische Aufbereitung des Materials aussieht, als wäre es ein schlecht digitalisierter Film aus dem letzten Jahrhundert. Auch die Dramaturgie und die Dialoge lassen zu wünschen übrig. Zudem gibt es inhaltliche und historische Fehler: Die gebleichten Zähne der Schauspielerinnen, die rasierten Achselhöhlen und gezupften Augenbrauen wollen so gar nicht zu dem heruntergekommenen Ambiente von Blackwell’s Island und in die Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts passen – eine gute Maskenbildnerin hätte hier sicher Abhilfe schaffen können, um Authentizität herzustellen. Zu guter Letzt hat Hines auch bei der Auswahl der Hauptdarstellerin kein glückliches Händchen bewiesen.

Caroline Barry, die von 800 Kandidatinnen den Zuschlag erhielt, wurde von ihm wegen ihres Dauerlächelns ausgewählt. Das passt sicherlich zu der historischen Person der Elizabeth Jane Cochran, aber es fügt sich nicht in die Dramaturgie des Filmes ein. Barry bemüht sich zwar, ihrer Rolle gerecht zu werden, aber es gelingt ihr nicht, die notwendige Tiefe und Ernsthaftigkeit darzustellen, die quälenden Zustände in der Anstalt werden von ihrem Spiel nicht aufgegriffen. Hines hätte also gut daran getan, eine erfahrenere Schauspielerin auszuwählen, oder eine, die trotz des jungen Alters das Handwerk beherrscht. Denn dass Schauspielerei vor allem große Handwerkskunst ist, beweist Christopher Lambert, der selbstredend die anderen Darstellerinnen und Darsteller an die Wand spielt. Und das, obwohl er nur eine Nebenrolle besetzt. Hines konnte spontan noch eine andere bekannte Schauspielerin gewinnen, die allerdings die letzten zehn Jahre nicht mehr vor der Kamera gestanden hat: Kelly LeBrock, vielen sicherlich noch aus der Filmkomödie The Woman in Red von Gene Wilder in Erinnerung, hatte exakt zwölf Stunden Zeit, um für die Rolle der fiesen Miss Grant zuzusagen. Vorbereitungszeit blieb da nicht, geschweige denn, dass sie das Drehbuch vorab gelesen hatte. Es sei dahingestellt, ob sie sich mit dieser Rolle zurück ins Filmbusiness spielen kann.

10 Days in a Madhouse — Undercover in der Psychiatrie ist der Versuch von Timothy Hines, einen anspruchsvollen historischen Stoff als Kinofilm umzusetzen. Gelungen ist ihm das nicht.

10 Days in a Madhouse

Sie war eine der ersten der Erfinderinnen des Investigativjournalismus: Nellie Bly ließ sich im Auftrag von Joseph Pulitzers Zeitschrift New York World in den1880er Jahren als vermeintlich Geisteskranke in das Asyl für nervenkranke Frauen auf der New Yorker Blackwell’s Island im East River einschleusen, um von dort über die schockierenden Zustände in der Anstalt zu berichten. Später ahmte sie die Reise von Jules Vernes Abenteuerroman „In 80 Tagen um die Welt“ nach und absolvierte die dort beschriebene Route in 72 Tagen, sechs Stunden, elf Minuten und 14 Sekunden. Timothy Hines setzt in seinem Film „10 Days in a Madhouse“ der ersten journalistischen Großtat dieser Frau ein Denkmal.
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