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Der Regisseur und Hauptdarsteller Bernd Michael Lade steht als Zeuge der Nazi-Gräueltaten vor Gericht und stellt Fragen nach gemeinsamer und individueller Schuld.

Der Zeuge (2023)

Eine Filmkritik von Markus Fiedler

Wann und wo beginnt Schuld?

Als Schauspieler ist Bernd Michael Lade vor allem als langjährigerer Tatort-Kommissar aus Dresden und Leipzig bekannt, bei eigenen Filmprojekten legt der 58-jährige sein Augenmerk auf Verbrechen, die sich von der Polizei nicht lösen ließen. Schon 2015 trat Lade als Darsteller, Autor, Regisseur und Produzent in „Das Geständnis“ in Erscheinung, ein Film, der sich mit Verbrechen gegen Ende der DDR beschäftigt. Und aufzeigt, wie sehr die Rechtsprechung vom politischen System abhängt. Sein neues Projekt „Der Zeuge“ legt den Finger in eine ähnliche Wunde: Macht man sich mitschuldig, wenn man Teil eines Systems wird, um nicht selbst zu sterben?

Lades Film befasst sich ausschließlich mit der Aussage des Schweizers Carl Schrade, der elf Jahre in Konzentrationslagern der Nationalsozialisten überlebte, weil er als Kapo, eine Art Aufseher aus den Reihen der Gefangenen, in der Krankenstation tätig und so unmittelbar mit den Verbrechen der Nazis konfrontiert war. Trägt Schrade also eine Mitschuld an den Ereignissen? Oder bleibt auch er ein Opfer des unmenschlichen Vernichtungssystems unter Hitler? Lade beantwortet dem Publikum diese Frage nicht. Stattdessen arbeitet er mit minimalen Stilmitteln, inszeniert fast dokumentarisch die auf Englisch gehaltene Aussage Schrades, die von zwei Übersetzerinnen für die Angeklagten ins Deutsche übersetzt werden. Und deren emotionale Erschütterungen beim Aussprechen der grauenvollen Taten, von denen Schrade berichtet, die einzigen sofort wirkenden Momente des Films sind. Lades Beschäftigung mit komplexen Fragen zu Schuld und Sühne entwickelt ihre Wirkung erst im Lauf des Films – und für manche Zuschauer:innen womöglich erst nach Verlassen des Kinos.

Je nach Geschmack lässt sich Lades Inszenierung positiv oder negativ sehen. Denn er verlässt sich komplett auf den Inhalt seines Films, führt mit der minutiösen Erzählung des Grauens akribisch die Unmöglichkeit vor Augen, angesichts eines Systems der Entmenschlichung komplett menschlich und moralisch unangetastet zu bleiben. Das ist ein ehrenhaftes Ziel. Und es gelingt Lade durchaus, das mit der betont ruhigen Aussage seines Hauptcharakters im Lauf des Films emotional aufzuladen. Allerdings sicher nicht bei jedem. Denn mit seiner spröden Erzählart braucht Lade ein Publikum, das sich sehr auf seine Art einlässt und dem anstrengenden Sprachmix aus Englisch und Deutsch ebenso konzentriert folgt wie den sprach- und weitgehend ausdruckslosen Gesichtern der Richter und Angeklagten, die erst im Lauf von Schrades Aussage ihre Gefühle nicht immer unterdrücken können.

Dass Carl Schrade keine fiktive Figur ist, sondern den im Film erzählten Schrecken wirklich erlebt hat, verleiht Der Zeuge zusätzlich eine Gravitas, die in den 93 Minuten eine zum Teil bedrückende Atmosphäre unterstützt. Denn auch wenn Schrade ohne Zweifel ein Opfer war, so wird er vom Anwalt der Angeklagten doch immer wieder als Berufsverbrecher und subversives Subjekt dargestellt, das seine Strafe in den Lagern mehr als verdient hätte. Das führte unter anderem dazu, dass der echte Schrade niemals Entschädigungen erhalten hat, da er nicht als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt wurde.

Die Unmittelbarkeit, mit der Lade als Carl Schrade in seiner Aussage versucht, seine Würde als Gefangener und Mann ohne Ausweg zurückzubekommen, seine Akribie in der Nacherzählung der grausamen Ereignisse und seine nur scheinbar fehlende Anteilnahme spielt Lade herausragend und macht Der Zeuge für Freunde starker Schauspiel-Leistungen zur Empfehlung.

Allerdings dürften sich Zuschauer:innen mit der gewählten Form Lades doch schwertun. Denn die wenig zugängliche Art seiner Erzählung, die trockene Atmosphäre und die optische Eintönigkeit des Films machen Der Zeuge nicht sehr zugänglich. Der Autor und Regisseur zeigt sich in der Form kompromisslos und verlangt von seinem Publikum, viel Interesse an der Materie mitzubringen. Das ist künstlerisch legitim, baut aber auch Hürden auf.

Der Zeuge (2023)

Deutschland, kurz nach dem 2. Weltkrieg: Als jahrelanger Häftling der KZs Buchenwald, Lichtenburg, Esterwegen und Flössenburg erlebte Carl Schrade (Bernd Michael Lade) die Gräueltaten der Nazis aus nächster Nähe. Jetzt soll der ehemalige Juwelenhändler als Kronzeuge der Anklage vor einem Gericht aussagen, um seine Peiniger hinter Gitter zu bringen. Auf der Anklagebank sitzen SS-Männer, NSDAP-Funktionäre und Ilse Koch (Lina Wendel), die Frau des berüchtigten KZ-Kommandanten Karl Koch. Die Liste ihrer menschenverachtenden Verbrechen ist lang, die Liste der Ausreden und Rechtfertigungen beinahe noch länger. An der Schuld besteht kaum ein Zweifel. Aber woher stammt Carl Schrades umfassendes Wissen über die Abläufe in der Lagerverwaltung und wie überlebte er mehr als zehn Jahre in den Lagern?

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