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Es gibt Häuser, in denen die Moderne geschlachtet wird, und Häuser in denen die Moderne schlachtet: Regisseur Heinz Emigholz zieht in seinem Essayfilm Verbindungen zwischen Bauwerken und Gewalt.

Schlachthäuser der Moderne (2022)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Dass es kein klassischer Dokumentarfilm über Architektur werden würde, erwartet man beim Namen Heinz Emigholz auch nicht. Seine neueste Arbeit beschäftigt sich, wie der Titel suggeriert, tatsächlich mit Schlachthäusern. Aber nicht nur. Bei Emigholz werden sie zu weitreichenden symbolischen Konstrukten, die der Film als Zeugen für die Unmenschlichkeit, derer der Mensch fähig ist, heranzieht. Entstanden ist daher ein experimenteller Essayfilm mit politischer Haltung, der seine nüchternen, wenn auch eindrücklichen Architekturaufnahmen, wie sie typisch für die Werke des Regisseurs sind, mit einzelnen philosophischen Exkursen kombiniert.

Schlachthäuser der Moderne beginnt mit einer Frauenstimme aus dem Off und Landschaftsbildern einer ländlichen, dünn besiedelten Gegend. Die maschinell wirkende, kalte und wohl bewusst distanzierte Erzählerin gibt die Essenz der modernen Architektur wieder. Dabei klagt sie diese an, Werkzeug menschenverachtender Ideologien und Ideologen zu sein. Die Architektur sei Zeugin des Terrors und der Exzesse, die in den 1930er Jahren einer ihrer Höhepunkte erreichten. Sie stelle sich in den Dienst der Mächtigen, reproduziere Mechanismen der Einschüchterung und Gewalt.

Nach dieser kompromisslosen, bestimmten Einleitung stellt der Film die Bauten des argentinischen Architekten Francisco Salamone vor. Zwischen 1934 und 1946 hat dieser rund um Buenos Aires öffentliche Gebäude projektiert: Rathäuser, Friedhöfe und Schlachthäuser. Ihren Stil, eine Mischung aus Bauhaus und italienischem Futurismus, kennt man. In Deutschland und Italien sind zur gleichen Zeit ähnliche Entwürfe entstanden. Die Gebäude heben sich durch ihre weißen Fassaden von ihrer von Erdtönen dominierten Umgebung ab. Sie wirken wie Fremdkörper, wie gestrandete Raumschiffe von Außerirdischen. Das Bild prägen klare Formen und vertikale Linien.

Mit einem schnellen Schnitt versehen, reihen sich die Aufnahmen erst der Rathäuser, dann der argentinischen Friedhöfe und schließlich der Schlachthäuser, wie eine digitale Bildergalerie aneinander. Vor dem Gattungswechsel schaltet sich die erwähnte Stimme ein, die einen auf die kulturelle Bedeutung der Gebäude hinweist. Dabei klammert sie das Ästhetische weitgehend aus, da sie nicht zur politisch motivierten Argumentation des Films passt. In einem ersten Teil sind die Informationen, die man vermittelt bekommt, durchaus lehrreich.

Salamones Architektur muss im Zusammenhang des Reichtumschubs in Argentinien der 1930er Jahren angesehen werden. Der neu erlangte Wohlstand war eng mit der Viehzucht verbunden, entsprechend lässt sich die damalige Bauhochphase von Schlachthäusern erklären. Auf die Hochphase folgte eine wirtschaftliche Rezession, wie wir wissen. Ablesbar ist diese Entwicklung auch am heutigen Zustand der Bauten Salamones: Sie sind dem Zerfall preisgegeben. Das einstige Weiß der Mauern ist vermoosten Stellen und abgebröckeltem Verputz gewichen. Die Natur hat sich einiger Gebäude bemächtigt, sie überwuchert, langsam abgetragen. Diese Bilder der Leere und Verlassenheit haben einen dekadenten Charme, im Ruinösen liegt Schönheit.

Das Gleiche gilt für den Ort Epecuén, der 1985 überflutet wurde und seit 2009 langsam mit Baumkronen und Gebäuderesten wieder an die Oberfläche kommt. Emigholz nutzt diese Kulisse für einen Bruch im Film. Zum ersten Mal sieht man eine Person. Ein Mann im Taucheranzug, der ein literarisches Stück vorträgt, in dem Bezug auf deutsche Nazis in Südamerika genommen wird, entledigt sich von Einstellung zu Einstellung eines Kleidungsstücks. Der schnelle Schnitt, der für die Architekturbilder funktioniert, irritiert massiv bei diesem Vortrag. Wenig überzeugend ist dabei auch der Versuch einer humoristischen Einlage.

Während sich also der Rhythmus des Films nicht verändert, spitzt sich seine politische Haltung zu. Emigholz wechselt nach Berlin und zum Stadtschloss, dessen Wiederaufbau massiv kritisiert und mit der Fragwürdigkeit seines einstigen Bauherrs Wilhelm II in Verbindung gesetzt wird. Am besten hätte man an diesem Standort in Berlin ein ideologiefreies Gebäude errichten sollen, so Emigholz, der dabei an den bolivianischen Architekt Freddy Mamani Silvestre denkt.

Die Gedankengänge des Autors sind nicht ausgesprochen analytisch, erzeugen aber in ihrer Sprunghaftigkeit eine suggestive Kraft. Der Film gleicht dahingehend eher einem spontanen Wutausbruch, der mitunter irrationale Züge trägt. Einfach macht es einem Emigholz auf jeden Fall nicht, sich in die verschiedenen Elemente seiner Arbeit, seines Essays, hineinzudenken. Seine apodiktische Haltung will man ihm gar nicht absprechen; sie ist durchaus anziehend, aber durch den Mangel an einer geschlossenen Struktur, verzettelt sich der Filmemacher sich. Vielleicht hätte es eine noch radikalere, kürzere und präzisere Form gebraucht, um die Kraft der Aussage zu unterstützen.

Schlachthäuser der Moderne (2022)

Die filmische Dokumentation der Bauwerke zweier südamerikanischer Architekten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, bildet die Grundlage des Films „Schlachthäuser der Moderne“, der den Doppelcharakter der architektonischen Moderne im ideologiegeladenen Spannungsfeld zwischen Avantgarde und politischer Propaganda untersucht. Der indigene bolivianische Architekt Freddy Mamani Silvestre (*1971) hat im kurzen Zeitraum von fünfzehn Jahren ab 2005 in der Stadt El Alto über sechzig Projekte verwirklicht, die abseits vom Stilkrampf und Diktat einer westlichen Moderne mit seiner eigenständigen Farb- und Formenwelt eine utopische Setzung bedeuten. Siebzig Jahre zuvor errichtete der argentinische Architekt Francisco Salamone (1897-1959) in der Provinz Buenos Aires innerhalb von zehn Jahren eine Vielzahl öffentlicher Gebäude, die vom Geist einer faschistisch-futuristischen Moderne durchdrungen sind. Der Gegensatz zwischen Experimentierkunst und strengem Politsymbolismus, zwischen verspieltem Engagement und öffentlichen Zwangsvorstellungen, kennzeichnen die Pole, die der Film im Kontext von Restauration und literarischer Verklärung analysiert. Das Projekt „Stadtschloss“ (aka „Humboldt Forum“) in Berlins Mitte dient mit seinem Versuch einer Synthese zwischen monströsem Prachtbau und reduktiver Moderne als dritter Eckpfeiler dieser Untersuchung. Die Tatsachen eines präfaschistischen Wilhelminismus und eine verschrobene südamerikanische Phantasie über den Kern des Nationalsozialismus sind das Bindeglied, die die in Europa relativ unbekannten Bauwerke von Salamone und Mamani mit dem Diskurs über den Doppelcharakter der Moderne, ihr Changieren zwischen Experiment und Restauration, verbindet.

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