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In „Chevalier“ schildert der Regisseur Stephen Williams die kaum bekannte Geschichte des Schwarzen französischen Geigenvirtuosen Joseph Bologne.

Chevalier - The Untold Story (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

In & Out

Der Film über einen Mann, dessen Geschichte zu Unrecht fast vergessen wurde, beginnt mit einem Mann, den wir alle kennen: Wolfgang Amadeus Mozart, hier verkörpert von Joseph Prowen. Der Salzburger Musiker lässt sich auf der Bühne von der feinen Gesellschaft feiern. Als er zu Publikumswünschen aufruft, tritt Joseph Bologne (Kelvin Harrison Jr.) selbstbewusst ins Rampenlicht und fragt herausfordernd, ob er gemeinsam mit dem Star des Abends spielen dürfe.

Sichtlich irritiert und mit kaum verhohlenem Spott lässt sich Mozart darauf ein. Die beiden liefern sich einen Geigenwettstreit, der sowohl an die hitzigen Rap-Battles in 8 Mile als auch an die akrobatischen Dance-Competitions in der Step-Up-Reihe und nicht zuletzt an etliche Western-Duelle denken lässt. Bologne erhält tosenden Applaus, der große Mozart muss sich widerwillig geschlagen geben. „Who the fuck is that?!“, brüllt er erzürnt in den Backstage-Bereich des Opernhauses.

Dieser Frage widmet sich das von Stephen Williams inszenierte Biopic auf Basis eines Drehbuchs von Stefani Robinson. Einige Dialoge und Bilder erinnern an das Historienkino, das unseren Eindruck von den Jahren vor der Französischen Revolution maßgeblich geprägt hat: Wenn sich die Figuren gepudert, geschmückt und geschnürt in einen Krieg der Intrigen begeben und ihre aufwendigen Kostüme wie Rüstungen tragen, wenn in der Theaterloge gelästert wird und wenn bei jeder Gelegenheit Macht- und Flirtspiele ausgetragen werden, dann kommt Chevalier der flirrend-dekadenten Stimmung in Filmen wie Stephen FrearsGefährliche Liebschaften (1988) sehr nahe. Die in Chevalier von der verlässlich herrlichen Szenendiebin Minnie Driver verkörperte Grande Dame Marie-Madeleine Guimard würde sich wohl bestens mit der von Glenn Close interpretierten Marquise de Merteuil aus Frears’ oscarprämiertem Liebesdrama verstehen (oder sie bis aufs Blut bekämpfen – wer weiß).

Doch das Skript und die Inszenierung führen die Tradition des bisher Erzählten nicht einfach fort, sie setzen durch ihren Protagonisten auch neue Akzente. Joseph Bologne genießt als unehelicher Sohn einer afrikanischen Sklavin und eines französischen Plantagenbesitzers einerseits deutlich mehr Privilegien als die meisten anderen Schwarzen in jener Epoche. Er wird von seinem Vater auf eine elitäre Schule in Paris geschickt, wo er seine Talente entfalten kann: das Spielen der Violine, das Komponieren und auch das Fechten. Andererseits muss er in den Kreisen, in denen er sich bewegt, immer wieder Diskriminierungserfahrungen erleben. Er wird von Marie Antoinette (Lucy Boynton) zum Chevalier de Saint Georges ernannt – bald kommt es aber zum Zerwürfnis mit dem Hofstaat.

„Always be excellent“ – so lautet ein Satz, mit dem Bologne von seinen Eltern dazu animiert wird, stets alles zu geben. Bologne kann sich aufgrund seiner Herkunft und seiner Schwarzen Identität keinen einzigen Fehler erlauben. Er ist Teil der High Society – und droht doch in jedem Augenblick, von ihr für den geringsten Fehltritt verstoßen zu werden. Der Film findet eine treffende (Bild-)Sprache, um diesen fragilen Zustand einzufangen. Dabei wird der Held durchaus ambivalent gezeichnet; er ist keineswegs frei von Hochmut. Darüber hinaus wird auch die Beziehung zwischen Bologne und der Sängerin Marie-Joséphine de Comarieu de Montalembert (Samara Weaving) interessant erfasst: Beide befinden sich in unterdrückten Positionen – und kommen sich durch ein gegenseitiges Verständnis näher. Sowohl Weaving (bekannt aus Ready or Not) als auch Kelvin Harrison Jr. (bekannt aus Waves) liefern feinfühlige Leistungen und entwickeln eine stimmige Chemie miteinander.

Chevalier - The Untold Story (2022)

Die historische Filmbiografie basiert auf dem Leben von Joseph Bologne, Chevalier de Saint-Georges (1745–1799). 

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