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Mit seinem neuen Spielfilm beschleunigt und verdichtet der philippinische Slow-Cinema-Regisseur Lav Diaz seine kontemplative Erzählweise. Der düstere Thriller über zwei Polizisten, die einander in den Abgrund reißen, lebt von seinen atemberaubenden Tableaus und seiner politischen Wut.

When the Waves are Gone (2022)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Die Bilder sind kein Zuhause mehr

Gerüche verdrängen einander nicht einfach. Es ist nicht wie beim Sehen, wo ein Bild das andere verdecken kann, ohne dass ein Spur bleibt. Duftstoffe vermischen sich und formen gemeinsam neue Gerüche. Wer also mit Blumen oder teurem Parfüm das Aroma von Leichen beseitigen will, der mischt Genuss und Tod und erzählt unabsichtlich davon, wie der Luxus aus Flakons und die süßliche Fäulnis des Kadavers zusammengehören. Nichts bleibt rein, alles verliert sich im Anderen und wird korrumpiert. In einer Szene aus Lav Diaz‘ neuem Film „When the Waves Are Gone“ feiert ein Mörder mit einer Gruppe von Frauen in einem Hotelzimmer ein rauschendes Fest. Es duftet nach Blumen und Parfüm, denn im Schrank liegt eine Leiche. Die Filme des philippinischen Regisseurs spüren der Gewalt nach, die die Luft vergiftet und nie ganz verdrängt werden kann. Die Vergangenheit will nicht enden.

Dieser neue Film wirkt manchmal, als hätte der Filmemacher eigentlich lieber eine Waffe als eine Kamera gehalten. Der politische Zorn seines Kinos zeigt sich unverstellter als sonst. Die philippinische Geschichte hat sich spätestens durch die Wahl des Diktatorensohns Ferdinand Marcos Jr. zum Präsidenten endgültig als traurige Endlosschleife erwiesen. Seinen Vorgänger Rodrigo Duterte bezeichnete Diaz in Interviews als „schlechte Kopie“ von Marcos Senior. Sein angeblicher Krieg gegen Drogendealer, der immer auch Oppositionelle ins Fadenkreuz nahm, bildet den Hintergrund des Films. Diaz‘ Kino träumt von Heilung, muss aber immer wieder mitansehen, wie alte Wunden aufgerissen werden. Das Marx-Zitat von der Wiederholung des Weltgeschichtlichen, erst als Tragödie, dann als Farce, ist längst von einem absurden Kontinuum abgelöst worden. Figuren wie Bolsonaro, Trump oder Duterte vereinen mühelos beides. Diaz erzählt davon mit einer Mischung aus großer Ernsthaftigkeit und schwarzem Humor, in der diese Facetten kaum mehr zu trennen sind.

When the Waves Are Gone ist eine Geschichte von zwei Männern, die einander korrumpieren. Einerseits ist da Lieutenant Hermès Papauran (John Lloyd Cruz), „einer der besten Ermittler der Philippinen“, wie die Dialoge immer wieder versichern. Er ringt mit der Schuld, als Polizist Teil des Drogenkriegs zu sein. Außerdem hat er seine Familie, vor allem seine Schwester, in einer schwierigen Notlage im Stich gelassen. Seine Sünden fressen sich als schmerzhaft entstellende Hautkrankheit in seinen Körper. Andererseits ist da der gerade nach langer Zeit aus dem Gefängnis entlassene Primo Macabantay (Ronnie Lazaro). Inhaftiert war der ehemalige Polizist, weil sein früherer Freund und Schüler Hermès seine Verbrechen offenlegte. Jetzt heftet er sich an dessen Fersen, um Rache zu nehmen — und hinterlässt eine Schneise der Gewalt, die auch vor Hermès‘ Familie nicht Halt macht. Lav Diaz orientiert sich also mit seiner Version eines Thrillers lose an Der Graf von Monte Christo, so wie schon etwa Norte — Das Ende der Geschichte auf Schuld und Sühne verwies. 

Mit etwa drei Stunden Laufzeit ist es ein ungewöhnlich kurzer Film für den Regisseur, der auch schon Dramen so lang wie Arbeitstage gedreht hat. Im Kino können Bilder wie Gerüche vermischt werden, durch Überblendungen oder schnelle Montagen, die ein Nacheinander wie Gleichzeitigkeit wirken lassen. Bei Lav Diaz passiert das nie. Seine Bilder kommen und bleiben oft für eine längere Zeit. Sie könnten den ephemeren Düften Beständigkeit entgegenhalten. Wir gewöhnen uns an sie und leben eine Weile darin. Augen und Gedanken schlagen ein Lager im Dschungel auf. Manchmal ist es dann fast unbequem, wieder auszuziehen – man hatte sich ja gerade erst eingerichtet. 

Doch in When the Waves Are Gone bietet kaum ein Bild Unterschlupf. Sie sind niemandem eine Heimat. Für die Verhältnisse des Slow-Cinema-Regisseurs ist es ein geradezu rasanter, eng getakteter Film. Lav Diaz goes Tony Scott. Die übliche Kontemplation, die ein Gefühl von Ewigkeit in sein Kino trägt, ist diesmal eher Register als Grundmodus. Sie dokumentiert seltener Natur und Alltagsverrichtung, sondern gibt vor allem Raum für Schrecken und das Absurde. Primo Macbantay tanzt in langen, starren Einstellungen allein in seinem Zimmer zu Musik, die nur er selbst hören kann. Seine Unterweltkontakte haben ihn befreit, und jetzt wandelt er frei durch die Welt, ein Hybrid aus religiösem und faschistischem Wahn. Noch so eine Vermischung. Er nimmt langwierige Bekehrungsrituale vor, tauft und konvertiert Menschen, die sichtlich verstört von seinem Verhalten sind. Hier gleitet das Verharren fast in Suspense, man rechnet stets mit dem nächsten Mord. Seine Gefahr füllt die atemberaubenden 16mm-Aufnahmen. 

Es fällt schwer, in ihm nicht auch eine Art Parodie auf Duterte zu sehen. Dieser mit seiner Männlichkeit protzende „starke Mann“, der den Papst und Obama als Hurensöhne beschimpfte und in Interviews seinen Respekt für Hitler bekannt macht. Einen großen Teil des Films verbringt Macbantay mit der Suche nach Sexarbeiterinnen, in einer erinnerungswürdigen Einstellung drapiert er sie um sich zum Tableau zwischen Opiumhölle und Harem. Er erzählt von seiner Beziehung zu Hermès, die so fast erotisch wirkt. Die Schönheit der Bilder von Kameramann Larry Manda bekommt etwas Beklemmendes. Licht und Schatten tanzen um Frauen, die giggelnd durch Hotelflure trippeln. Wellen branden an zerklüftete Küste, Weitwinkelobjektive fangen das seltsam tote Nachtleben der Städte ein. Am Ende versinkt alles in schwarzer Verzweiflung, und das Morgengrauen bringt keine Hoffnung, sondern noch mehr Tote. Es ist das Schwarz eines Noir-Films, also das Schwarz von existenzieller Verlorenheit.

Die düstere Schönheit dieser Bilder ist auch das Thema eines Nebenplots: Der Fotojournalist Raffy Lerma (Don Melvin Boongaling) macht Aufnahmen von den Opfern der Duterte-Kampagne. Er hat eine Mutter mit ihrem toten Sohn in die Zeitungen gebracht. Sie hält ihn weinend in den Armen — eine Pietà. Jetzt wirft die Regierung ihm eine Ästhetisierung des Leids vor, eine Emotionalisierung der Umstände. Es ist immer albern, wenn allzu bemüht politische von ästhetischen Kriterien getrennt werden. Wenn Reinheit von Kategorien verlangt wird, die doch wie Duftstoffe zusammenspielen. Lav Diaz‘ Film ist schön, gerade durch seinen gerechten Zorn. Eine Wut, die keine Lösung anbietet, nur Auflösung.

When the Waves are Gone (2022)

Fast 30 Jahre war Herminiglido Nono in einem überfüllten Gefängnis in Manila inhaftiert, doch als er einem Wärter das Leben rettet, kommt er endlich frei. Nach Hause zurückgekehrt sinnt er darauf, Rache zu nem,en für all das, was ihm genommen wurde: Seine Lebenszeit, sein Reichtum, sein Haus, und die Frau, die er einst geliebt hatte.

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