Café Belgica

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Because the night…

Eine Kneipe oder einen Club wie diesen hier kennt wohl jeder: Nicht besonders schick, sondern mit einer etwas abgeschabten Klebrigkeit, die aber im Dunkel der Nacht niemanden stört, die Lautstärkeregler immer bis zum Anschlag aufgedreht. In der Rückschau sehnt man sich nach diesen Orten der Jugend und hat zugleich keine Ahnung mehr, was genau sie so anziehend machte. Das Café Belgica, von dem Felix van Groeningens gleichnamiger Film erzählt, ist so ein Ort. Oder er könnte es zumindest sein. Denn einen Club wie den gezeigten kennt der Regisseur selbst aus seiner Vergangenheit: Das Café Charlatan im historischen Zentrum der pulsierenden belgischen Uni-Stadt Gent war ihm selbst für lange Zeit Heimat – und so entstand wohl auch die Idee, den Orten der ersten Abstürze und ekstatischen Nächte ein filmisches Denkmal zu setzen. Herausgekommen ist ein wildes Drama, in dessen Mittelpunkt die Geschichte zweier Brüder steht, die einander wiederfinden und dann wieder zu verlieren drohen.
Jo (Stef Aerts), der jüngere von beiden, eröffnet ein heruntergekommenes Café, das er zu einem Club mit Live-Musik ausbaut, und formt daraus einen Platz, an dem das Partyvolk von Gent ohne Beschränkungen und strenge Tür-Politik abfeiern kann. Irgendwann stößt Frank (Tom Vermeir, Sänger der Rock-Band A Brand, der hier sein überaus charismatisches Kinodebüt gibt) dazu, den Jo aus den Augen verloren hatte. Eigentlich ist Franks Leben mittlerweile in geregelten Bahnen angekommen, er lebt mit seiner Frau auf dem Land, die beiden erwarten das zweite Kind und das Haus muss auch dringend fertig werden. Doch genau da ist der Haken bei der Sache: Denn Frank ereilt eine verfrühte Midlife Crisis, statt eines beschaulichen Lebens als braver Familienvater auf dem Land will er Rock’n’Roll – und genau das verspricht das Belgica. Also stürzt er sich mit Feuereifer ins Nachtleben, geht seinem Bruder zur Hand und genießt die scheinbare Freiheit, die Drogen, die Frauen, die Nächte. Allerdings ist es immer wieder sein überschäumendes Temperament, das die beiden Brüder und das Café Belgica in Schwierigkeiten bringt …

Zugegeben: Von der Emotionalität her reicht Café Belgica nicht ganz an Felix van Groeningens vorherigen Film The Broken Circle heran. Zwar stimmt der Tonfall, die Atmosphäre und das Zusammenspiel der beiden Brüder, doch die Wucht der Gefühle, die das Bluegrass-Drama auszeichnete, war dann doch druckvoller und gespickt mit überraschenden Wendungen, die einem das Herz brachen.

Café Belgica ist immer dann am schönsten und eindrücklichsten, wenn er sich von der Narration löst und die Musiknummern aus unterschiedlichsten Richtungen (verantwortlich für exzellenten Soundtrack sind die beiden Brüder Dewaele, deren Band Soulwax sämtliche Stücke zwischen Psychobilly, House, Techno und Neo-Soul selbst geschrieben und produziert hat) in wilder Parallelmontage miteinander verbindet. Wenn die gewagten Cuts und assoziativen Querverbindungen nichts weiter wollen, als die Magie des Moments, die Hitze der Nacht, die Augenblicke, in denen alles auf Rausch, Ekstase und kollektives Ausrasten und Abheben zusteuert, im hämmernden Stakkato der Beats in ein großes Nirwana aus Rhythmen, Farben, Bewegung und Schwenks aufzulösen. In diesen Momenten kommt man auch als Zuschauer den Gefühlen von damals wieder ganz nahe, dem Abheben und den Abstürzen, dem Rausch, der Euphorie als Lebensgefühl und der Ernüchterung – und den Freundschaften fürs Leben, die dann auf heftige Art und Weise zerbrachen.

Und ganz nebenbei liefert Felix van Groeningen noch eine Art politische Utopie im Kleinen, die er unaufdringlich in seinem Film einflicht: Sein so unendlich liebevoll gezeichnetes, aber niemals nostalgisch verklärtes Café, das er in rund zwei Stunden zum Mittelpunkt der Welt erklärt, kann man nicht nur aufgrund des Namens als ein Miniaturmodell Belgiens ansehen – und die Haltung der beiden Brüder als Versuch, in diesem zerrissenen und zutiefst gespaltenen Land so etwas wie eine Insel der Offenheit und gegenseitigen Toleranz zu machen. Eine „Arche Noah“ für alle Feierwütigen soll ihr Laden sein – und so haben hier alle ihren Platz: Die Mädchen aus den Vororten, der Koch mit arabischen Wurzeln und all die anderen, die in anderen Clubs der Stadt regelmäßig ausgesiebt werden.

Neben Sing Street ist Café Belgica sicherlich der bislang schönste Musikfilm des Jahres und ein nostalgischer Trip in die Vergangenheit von so manchem Zuschauer. Denn seien wir ehrlich: Wir alle hatten unser Café Belgica. Und wir vermissen es noch heute an manchen Tagen und in vielen Nächten.

Café Belgica

Eine Kneipe oder einen Club wie diesen hier kennt wohl jeder: Nicht besonders schick, sondern mit einer etwas abgeschabten Klebrigkeit, die aber im Dunkel der Nacht niemanden stört, die Lautstärkeregler immer bis zum Anschlag aufgedreht. In der Rückschau sehnt man sich nach diesen Orten der Jugend und hat zugleich keine Ahnung mehr, was genau sie so anziehend machte. Das „Café Belgica“, von dem Felix van Groeningens gleichnamiger Film erzählt, ist so ein Ort. Oder er könnte es zumindest sein.
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