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Semi-dokumentarisches Porträt von Vera Gemma, die das Gespenst des berühmten Vaters nicht loswird, während sie nach emotionaler Wärme und Halt und sucht. 

Vera (2022)

Eine Filmkritik von Bianca Jasmina Rauch

Eine Herzwärmgeschichte mit semi-dokumentarischen Elementen über Vera Gemma, die Tochter des Spaghetti-Western-Stars Giuliano Gemma, eröffnete dieses Jahr die 60. Viennale. Das Regie-Duo Tizza Covi und Rainer Frimmel hat sich bereits durch sein Händchen für interessante Protagonist*innen einen Namen gemacht, „Vera“ erhielt in Venedig-Sektion Orizzonti Auszeichnungen für Regie und Schauspiel.

Im Gegensatz zur letzten rein aus schwarz-weiß-Interviewsequenzen bestehenden Dokumentation Aufzeichnungen aus der Unterwelt besteht das neueste Werk des Italo-Österreich-Paars aus einem fiktionale Plot, dem eine reale Persönlichkeit und ihre emotionale Vorgeschichte zugrunde liegen. Vera Gemma beeindruckt mit ihrem extravaganten Auftreten und ihrer Ausstrahlung unmittelbar als schillernde Person. Gerade ihr Umgang mit der eigenen Geschichte ist aber eng mit ihrem Äußeren verbunden und ihr Status als Promitochter macht es ihr schwer aufrichtige Freund*innen zu finden.

Vera: in Cowboyhut auf einer römischen Schickeria-Party, Vera beim Schuhe-Shoppen, Vera mit ihrem Liebhaber im Bett („Kannst du Monica Bellucci fragen, ob sie in meinem Film mitspielt?“), Vera bei einem Casting. All diese Situationen aus dem Alltag der irgendwas um die 50 Jahre alten Hauptfigur bergen direkt oder indirekt das Erbe des Vaters in sich, das sie stets wie ein Schleier aus Möglichkeiten und Hindernissen umgibt.

Erwähnt Vera den Western-Star, öffnen sich ihr Türen, andere verschließen sich. Anerkannt wird sie für ihren Vater, geliebt für ihr Geld. Dass sie mit dem deutschen Philosophen Arthur Schopenhauer vertraut sei, überrasche ihn, äußert ein Casting-Agent ungeniert, nachdem er erklärt, dass Veras Gesichtszüge zu modern für einen Historienfilm seien. Ihre offensichtlich Maßnahmen unterzogenen Körperzonen und von Wasserstoff blondierten Haare lassen ihr Gegenüber schnell zu vorschnellen Schlüssen eilen und einen Zusammenhang zwischen Bildungsstatus und äußerer Erscheinung imaginieren.

Veras Entscheidung für diese Operationen hatten aus den häufigen Kommentaren der Schönlings-Eltern über ihr Aussehen, die sie bereits als Kind zu hören bekam, resultiert. Mit diesem perfekten Vater konnte sie sich nicht messen, ständig war sie Vergleichen ausgesetzt. Das ambivalente Verhältnis zu ihrem Vater wird in ihrem häufigen Tragen von Cowboyhüten offenbar. Ihr Schönheitsideal jedoch, orientiere sich an Transfrauen, erzählt Vera und formuliert dabei eine Phrase, die in der reduktionistischen Verallgemeinerung einer Identitätsgruppe ihre verpasste Reflexion über den eigenen privilegierten Status enthüllt.

Doch Veras Privilegien, zumindest die finanziellen, dünnen sich langsam aus, denn der berühmte Vater kam bereits vor Jahren bei einem Autounfall ums Leben (und mit diesem Fakt dringt abermals die Realität in diese fiktionale Geschichte ein).

Nun lebt Vera von dessen Nachlass, der sich aber auch nicht mehr als allzu ergiebig erweist. Doch welche eigenen Ambitionen hat die Tochter des schönen Stars, was erhofft oder erwartet sie sich vom Leben? Das erfahren wir nicht so richtig. Wir lesen nur zwischen den Zeilen, dass sie, wie wir im Grunde alle, nach emotionaler Nähe sucht, die jedoch häufig in Enttäuschungen endet.

Nachdem sie bei einem Verkehrsunfall den alleinerziehenden Vater und Automechaniker mit Macho-Habitus Daniel (und gleichzeitigem Hang zur darstellerischen Übertreibung: Daniel de Palma) und dessen neunjährigen Sohn Manuel (Sebastian Dascalu) kennenlernt, beginnt sie eine Beziehung zu den beiden aufzubauen, die den größten Teil der Handlung trägt. Sie geht mit dem kleinen Manuel Eis essen, ins Kino, hilft ihm bei den Schulaufgaben, beschenkt ihn, zahlt die Wasserrechnung der Großmutter, bei dem das Kind und sein Vater wohnen.

Die raue Prekarität der römischen Vorstadt trifft auf den gestrigen Luxus von Roma Centrale. Den Kitt zwischen einigen recht konstruiert wirkenden Wendepunkten inmitten dieser Form mit Dokumentarfilmnähe versuchen Canzoni (Chansons) zu liefern, die die Brücke zwischen Melancholie und italophilem Feel-Good schlagen.

Tizza Covi und Rainer Fimmel haben für ihren neuen Film nicht nur Darsteller*innen gewonnen, die zum ersten Mal vor der Kamera standen, sondern holten auch ein altbekanntes Gesichter hervor: Walter Saabel verkörpert den Chauffeur Veras. Saabel spielte bereits in früheren, vornehmlich im Zirkusmilieu angesiedelten Werken des Duos tragende Rollen, z.B. in Der Glanz des Tages. Auch hier ging es um Figuren, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt wiederfinden und gewissermaßen ist auch Vera eine solche Figur, mit Sicherheit auch Daniel.

Doch drängt sich der Eindruck auf, dass in Veras Lebensgeschichte eigentlich noch tiefere, spannendere Aspekte schlummern, die die Dokufiktion nur gar oberflächlich andeutet und in einem seltsam anmutenden Opferende kulminieren lässt. Die lose für sich stehende Szene zwischen Vera Gemma und Asia Argento, der Tochter des gefeierten Regisseurs Dario Argento, vor dem Grab des namenlosen Sohns Goethes erweist sich als ein Höhepunkt des Films, der vergleichbare Momente, die uns mehr über die Personen auf der Leinwand und ihre Sehnsüchte und Narben erzählen könnten, umso mehr vermissen lässt.

 

Vera (2022)

Die erfolglose Schauspielerin Vera lebt im Schatten ihres berühmten verstorbenen Vaters. Überdrüssig unzähliger Schönheitsoperationen und oberflächlicher Beziehungen treibt sie durch die römische High Society. Als sie bei einem Verkehrsunfall ein Kind verletzt, baut sie eine aus ihrer Sicht intensive Beziehung zu dem neunjährigen Buben und dessen Vater auf.

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