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In „Welcome Venice“ schildert Andrea Segre einen Erbstreit zwischen zwei Brüdern in einem Venedig während der Pandemie.

Welcome Venice (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Keine Sorge?

Italienische Familien im Film. Da kommen uns natürlich schnell die Corleones in Francis Ford CoppolasDer Pate“ (1972) und dessen Fortsetzungen in den Sinn. Oder aus jüngeren Kinozeiten etwa der mondäne Fashion-Clan in Ridley ScottsHouse of Gucci“ (2021). Aus Italien selbst gibt es wiederum zahlreiche spannungsreiche Werke, die zwischen Tragik und Komik von familiären Dynamiken erzählen – etwa Ferzan ÖzpeteksMänner al dente“ (2010) oder Gabriele MuccinosZu Hause ist es am schönsten“ (2018).

Die zentrale Familie in Andrea Segres Welcome Venice lernen wir im Rahmen einer Geburtstagsfeier kennen. Alle Generationen, von den Großeltern bis zum Enkelsohn, haben sich am breiten heimischen Tisch versammelt, da Piero (Paolo Pierobon) 55 wird. Die Stimmung ist ausgelassen. Es wird viel gegessen, die Erwachsenen trinken reichlich Alkohol – und der kleine Enkel wird dazu genötigt, ein Lied zu singen. Als jedoch das Telefon klingelt, muss der Freizeitspaß prompt unterbrochen werden. Die Arbeit ruft: In einer Unterkunft, die an Tourist:innen vermietet wird, ist die Waschmaschine kaputt.

Während Piero und Toni (Roberto Citran) in die Fußstapfen des Vaters getreten sind und sich der Krabbenfischerei widmen, ist der dritte Bruder Alvise (Andrea Pennacchi) in der Tourismusbranche tätig. „Sie haben großes Glück!“, meint eine Urlauberin an einer Stelle, als sie erfährt, dass die Familie in Venedig lebt. Der 1976 in Dolo (unweit von Venedig) geborene Regisseur und sein Kameramann Matteo Calore sind indes nicht an Postkartenmotiven interessiert, in denen die Lagunenstadt möglichst attraktiv eingefangen wird. Vielmehr geht es darum, den Alltag an diesem Ort zu erfassen – der wiederum gerade in einer Ausnahmesituation funktionieren muss, da die Corona-Pandemie alles verändert hat.

Bereits in seinem Dokumentarfilm Moleküle der Erinnerung – Venedig, wie es niemand kennt (2020) zeigte Segre die stillstehende Stadt während der weltweiten Krise. Welcome Venice realisierte er im Anschluss. Er siedelt die Handlung in einer Phase an, in der alles ganz langsam wieder anläuft, aber etliche Dinge noch ungewiss sind. Wann können Verwandte von außerhalb wieder bedenkenlos besucht werden? Wann kehren die Leute zurück, die hier Urlaub machen (und Geld ausgeben) wollen? „Was tun wir?“, wird an einer Stelle besorgt gefragt. „Was schon?“, lautet die lakonische Antwort. „Wir haben’s bis jetzt noch immer geschafft, keine Sorge.“ Der Film beobachtet die Höhen und Tiefen und lässt uns miterleben, wie die Familie darauf reagiert – mal unaufgeregt, mal dramatisch.

Als Toni nach einem Arbeitstag durch einen Blitzschlag stirbt, entbrennt zwischen den anderen beiden Brüdern ein Kampf um den Familienbesitz. Alvise will das Elternhaus auf der venezianischen Insel Giudecca touristisch nutzen; Piero stellt sich quer. Sowohl charakterlich als auch optisch werden die zwei Männer als Kontraste in Szene gesetzt: Der stets elegant gekleidete und zurechtgemachte Alvise, der in erster Linie ans Geld denkt, und der bärtige Piero, dem die Familientradition wichtig ist. Wie diese beiden sturen Figuren und ihr Umfeld in einen Zwist geraten, hat durchaus auch absurde Momente – bis hin zur finalen Pointe.

Welcome Venice (2021)

Die Brüder Pietro und Alvise gehören zu einer alten Fischerfamilie aus Giudecca, einer der Inseln, aus denen die Stadt Venedig besteht. Ihr Leben kollidiert vor dem Hintergrund des unaufhaltsamen Wandels, der die Realität und die Identität Venedigs und seiner Bewohner verändert: Der zunehmende Einfluss des globalen Tourismus verändert die Beziehungen zwischen der Stadt und ihren Bewohnern. Obwohl es anstrengend und einsam ist, möchte Pietro weiterhin „moeche“, die typischen Krebse der Lagune, fischen; Alvise hingegen sieht in seinem Elternhaus die Möglichkeit, neu anzufangen, indem er Beziehungen zur Immobilienelite aufnimmt, die die Stadt beherrscht. Der Konflikt greift schließlich auf die ganze Familie über.

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