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In „Marlowe“ bringt Neil Jordan den berühmten Privatdetektiv in stimmungsvollen Bildern zurück, in Gestalt von Liam Neeson, mit Diane Kruger und Jessica Lange an dessen Seite.

Marlowe (2022)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Das Alte(r) hinter sich lassen

Die von dem US-Schriftsteller Raymond Chandler (1888-1959) erdachte Romanfigur Philip Marlowe, ein Privatdetektiv mit ganz eigenen moralischen Maßstäben, wurde im Kino vor allem durch die Interpretationen von Humphrey Bogart in „Tote schlafen fest“ (1946) und von Elliott Gould in „Der Tod kennt keine Wiederkehr“ (1973) geprägt. Während die Adaption von Howard Hawks aus den 1940er Jahren eine düstere Welt mit einem pessimistischen Protagonisten im klassischen Film-noir-Stil schuf, kam Robert Altmans Version aus den 1970er Jahren als satirische Dekonstruktion mit einem beinahe schon ungeschickt wirkenden Anti-Helden daher.

Das Drehbuch zu Marlowe, verfasst von William Monahan, basiert auf keinem der Chandler-Werke, sondern auf dem Roman Die Blonde mit den schwarzen Augen, den der irische Schriftsteller John Banville 2014 unter dem Pseudonym Benjamin Black nach einem Fragment von Chandler veröffentlicht hat. Banvilles Landsmann Neil Jordan (The Crying Game, Interview mit einem Vampir) hat das Skript in Szene gesetzt – mit Liam Neeson in der Hauptrolle. Der ebenfalls aus Irland stammende Schauspieler hatte sich einst mit seiner Oscar-nominierten Darbietung in Schindlers Liste (1993) als Charaktermime etabliert, ehe er durch die 2008 gestartete Taken-Reihe und etliche ähnlich konzipierte Filme zum späten Action-Star avancierte.

Neeson verleiht der Titelfigur zweifellos Charisma. Diverse Eigenschaften Marlowes, etwa sein Interesse für alte Schachpartien, seine Vorliebe für Zigaretten und Whiskey oder seine recht gleichgültige Haltung gegenüber Geld, werden teilweise ganz nebenbei gezeigt. „You can’t stop“, heißt es an einer Stelle; Marlowe würde seine Fälle wohl auch dann weiterverfolgen, wenn niemand mehr bereit wäre, ihn dafür zu bezahlen. Von dieser angedeuteten Getriebenheit, gar Obsession ist insgesamt jedoch zu wenig zu spüren. Die charakterliche Auslegung des einzelgängerischen Detektivs bleibt hier zu glatt.

Spannender ist indes die Femme fatale des Films, die jene Bezeichnung sogar selbst verwendet – allerdings um damit ihre Mutter zu beschreiben. Clare Cavendish (Diane Kruger) erscheint eines Tages in Marlowes Büro, im kalifornischen Bay City des Jahres 1939. Sie ist die Tochter der Filmdiva Dorothy (Jessica Lange) und verheiratet mit dem hedonistischen Richard (Patrick Muldoon). Marlowe soll nun nach ihrem verschwundenen Lover Nico Peterson (François Arnaud) suchen. Wie sich bald herausstellt, wurde dieser angeblich tot vor den Toren eines exklusiven Clubs gefunden. Der nahezu unkenntliche Leichnam wurde rasch verbrannt; die Polizei scheint die Sache als Unfall mit Fahrerflucht ad acta legen zu wollen. Aber Clare ist überzeugt, dass Nico noch lebt. Und so nimmt Marlowe weitere Nachforschungen auf. Was hat etwa der Club-Leiter Floyd Hanson (Danny Huston) mit dem Fall zu tun? Weiß Nicos Schwester Lynn (Daniela Melchior) mehr? Und sagt Clare überhaupt die Wahrheit?

Während Tote schlafen fest häufig vorgeworfen wurde, der Plot sei zu verworren, ist die Handlung von Marlowe recht klar strukturiert. Erfrischend ist, dass zwischen dem Protagonisten und Clare keine erzwungene Love-Story aufgebaut wird. Der Ermittler weist selbst darauf hin, dass er fast doppelt so alt wie Clare ist. Statt einer konventionellen Kuss- oder Sexszene gibt es einen Tanz zwischen den beiden. Gerade weil Neeson und Kruger hier nicht die ganz große Romanze behaupten müssen, stellt sich ein gewisser Funkenschlag und eine stimmige Chemie ein. Auch die Interaktion zwischen Neeson und Lange ist reizvoll. Der Detektiv wird mit zwei Generationen von Frauen konfrontiert – und entwickelt zu beiden ganz unterschiedliche Beziehungen. Zwischendurch sorgen Charakterköpfe wie Alan Cumming (als Schurke), Colm Meaney und Ian Hart (als zwei Polizisten) für lockere Momente.

Auf visueller Ebene demonstriert Neil Jordan sein Können und seine Liebe für das Genre: Blicke durch Jalousien, Silhouetten hinter einer Milchglas-Tür, die Spiegelung greller Leuchtreklame in einer Regenpfütze auf nächtlicher Straße – die Bilder, die der Regisseur und sein spanischer Kameramann Xavi Giménez finden, sind überaus exquisit. Ebenso die Kulissen, die edlen Kostüme (insbesondere Clares Hüte!), die schicken Frisuren und das makellose Make-up.

Da der gesuchte Nico als Requisitenmeister in einem Filmstudio tätig war, wird die Künstlichkeit des Settings gleich mitgedacht; das Finale findet folgerichtig in einer Lagerhalle mit Requisiten aller Art statt. Ein paar launige Sprüche bringen Ironie in das Geschehen. Clare und Dorothy sowie der schwarze Chauffeur Cedric (Adewale Akinnuoye-Agbaje) sind wehrhaft, ohne dass der Film sie dafür zwangsläufig bestraft, wie dies in vergangenen Kinostunden höchstwahrscheinlich passiert wäre. In der Darstellung dieser Wehrhaftigkeit greift das Werk hingegen auf derart reaktionäre Mittel zurück, dass der Einzug moderner Perspektiven direkt wieder geschwächt wird. Marlowe ist ein atmosphärischer Genre-Beitrag mit guten Ansätzen, der Neues zulässt, aber letztlich doch keine wirklich überzeugenden Wandlungen zu Tage fördern kann.

Marlowe (2022)

Los Angeles in den 1930er Jahren: In einer von Korruption zerfressenen Stadt lebt Privatdetektiv Philip Marlowe nach seinen eigenen moralischen Grundsätzen. Die Geschäfte laufen schlecht – bis die so geheimnisvolle wie wunderschöne Clare in sein Büro tritt. Die wohlhabende Erbin beauftragt Marlowe damit, ihren spurlos verschwundenen Ex-Geliebten wiederzufinden. Der Ermittler begibt sich auf die Suche und kommt allmählich einer mysteriösen Geschichte auf die Spur. Unwissentlich gerät Marlowe dabei ins Kreuzfeuer einer einflussreichen Familie, die vor nichts zurückschreckt. 

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